Getan

Jäten – was für ein Wort! Lautmalerischer geht es kaum. Nicht nur, dass da ein ä drinsteckt, das unweigerlich an ächz oder bäh erinnert (und von einigen auch unwillkürlich ausgestoßen wird, sobald dasjenige Erwähnung findet), es ist auch noch zeitintensiv in die Länge gezogen. Kein Wunder mag man’s nicht. In der Regel. Die zig Menschen zum Beispiel, die in ihrer Kindheit zum Jäten gezwungen und dadurch so traumatisiert wurden, dass sie heute schon allein beim Wort „Gärtnern“ (ach, guck da, auch ein ä) Schüttelfrost kriegen. (Was für mich – je älter ich werde, desto mehr – ein Rätsel ist. Ich käme nie auf die Idee, einen willigen Erwachsenen in meinem Garten jätend sich selbst zu überlassen, geschweige denn ein unwilliges Kind. Dass etwa eine fremde Hand sich an meiner Bergminze vergreift … oder eine kundige an meiner Knoblauchsrauke … Schauder.) Was ich damit sagen wollte: Das Jäten ist gemeinhin eine ungeliebte Tätigkeit. Punkt. Ich für meinen Teil jäte gerne.

Was ich zutiefst verabscheue, ist das „Jäten-Denken“. Das Vorbeigehen an einem Beet und (man hat jetzt wirklich keine Zeit, wirklich nicht, man ist eigentlich schon längst dran vorbei), das trotzdem unweigerliche Runtergucken und schlussfolgernde Feststellen: „Au Backe. Dieses Rudel müsste man sofort jäten. Jetzt. Morgen früh blüht das schon und spätestens mittags hat es sich versamt. Und dann hast du Tausende davon. Überall.“ Ich verkrafte solche Momente bei harmlosen Undingern einigermaßen, aber ich habe ja mehr als ein Beet. Zig Beete mit zig harmlosen Undingern sind nach Adam Riese ein Tripel-Bäh. Als ob dem nicht genug wäre, zeigen einem dort und drüben auch noch viele böse Teils gerne ihre primären Teile. Man hetzt durch den Garten (wie gesagt: keine Zeit) und sieht überall nur noch Unkraut, da können die gewollten grünen Haufen noch so groß sein, perspektivisch verkümmern sie neben einer Löwenzahnknospe oder einem zaghaft rausguckenden Ackerwindentrieb zu einem Halben-Millimeter-Mückenfurz. Und dann drängelt die Frage „Wann zur Hölle willst du das schaffen?“ Und jetzt, gerade in dieser Stimmung, meint man mit panikierender Sicherheit zu wissen: „Nie, verdammt noch mal!“

Aber man tut’s. Vielleicht mal etwas zu spät, dafür im nächsten Monat oder Jahr wieder früh genug. Und schon sind wir beim Tun. Eine deutlich andere Schublade. Gut, ich spreche hier nicht von einem drei Hektaren großen Feld voller Giersch – da rutscht man stimmungsmäßig gerne in den vorherigen Abschnitt – nein, normales Vor-sich-hin-Jäten meine ich. Nie bin ich dem Boden näher, den kleinen davon- oder sonst wohin krabbelnden Tieren (mitunter ist es auch ein großes Vogeltier, das mir interessiert beim seltsam ungelenken Scharren zuschaut oder ein Schmetterling, der mir – Idyllen-Schmelz – Luft zufächelt, oder eine Katze, die träge daliegend in sicherer Entfernung mit einem Auge blinzelt), den Stauden und Gehölzen zwischen den Unkräutern, den Stacheln und Dornen, etwaigen Glasscherben, Wäscheklammern, Plastikfetzen und sonstigen Überraschungen. Müsste ich einem frisch gebackenen Gartenbesitzer einen Rat geben, dann wär’s eindeutig der: „Jäte und lerne deinen Boden erst einmal kennen, bevor du das Bepflanzen überhaupt andenkst.“ Mit allen Sinnen macht man Bekanntschaft mit dem braunen Lebewesen (ja, dazu steh ich, die Scholle ist für mich ein Lebewesen). Zum Beispiel riechend. Ich liebe es, eine Handvoll Erde an die Nase zu halten und tief einzuatmen. Manchmal riecht es nach gar nix, dann wieder modrig-pilzig, mal satt-lehmig und mal … nein, wir sind nicht im Paradies … nach Katzenzeug. (Die anderen olfaktorischen Beispiele und Sinne lass ich jetzt mal aus. Man kann’s auch übertreiben.)

Und eh ich realisiere, dass ich mitten in der mühsamsten Arbeit des Gärtnerns weile, überkommt mich ein Jät-Rausch. Es ist, als jäte es mit einem: Man gräbt und sticht und hebelt und zieht und gräbt und … Weit hinten im noch letzten bisschen nüchternen Bewusstsein meldet sich eine mahnende Stimme, der man zögernd nachgibt: „Gut, noch eine halbe Stunde, dann hör ich auf.“ Die halbe Stunde ist vorüber, der Rücken schmerzt, die Sehnen knarren, ach, ist doch jetzt auch egal. Nur noch schnell diese Ecke und vielleicht noch jene dort und die drüben… Irgendwann lässt der Rausch dann doch nach, man kehrt auf die Scholle der Tatsachen zurück, steht wankend auf, drückt das Kreuz durch und besieht sich die Taschen, Säcke und was noch der Behältnisse sind voll von Gejätetem, lässt den Blick schweifen und erspäht nur noch gewollte Haufen. Für sicherlich drei Tage. Was ein Gefühl!

Es tönt hier alles gewaltig nach verkitschtem Garten-Gandhi. Ich weiß. Aber da ist, wie gesagt, das „Jäten-Denken“ und das hängt seine vorlaute Schnauze gar zu gerne ins „Tun“. Das vermiest einem jede sinnliche Freude, unterdrückt jeglichen Rausch im Keimstadium. Wie kannst du selig vor dich hin werkeln, wenn dein Blick dauernd auf die unendliche Unkrautsteppe vor dir (oder hinter, neben, was auch immer) schweift? Oder wenn du gerade eine „Plingggg“- oder „Knarks“-Wurzel nicht zur Gänze erwischt hast und du denkerisch weißt, dass das Sauteil mit rachsüchtiger Energie doppelt und dreifach so stark wieder aufersteht? Oder wenn man vor einem richtig fetten Phlox-Horst steht, in dessen Mitte sich ein Löwenzahn rausschlängelt? Oder – gähn, der hat einen Uraltbart, gehört aber trotzdem erwähnt – wenn man gerade versehentlich die einzige Astrantia major „Hadspen Blood“ im Garten so rausgerissen hat, wie man sich das bei den schlimmsten aller Unkräuter wünscht? Oder die Momente, in denen man schlecht gelaunt und deswegen reichlich halbherzig (besser, man täte gar nix, aber das Wissen darum macht einen nur noch grantiger) am Unkraut rumzupfelt oder tatsächlich alles hinschmeißt und dröhnend in sich reinruft: „Ihr könnt mich alle mal!“ Und zum Schluss wäre dann noch die Situation, dass man eben nicht panikierend, sondern einfach dran vorbeilatscht, weil es einem am Hintersten vorbeigeht. Habe ich irgendwo geschrieben, ich für meinen Teil täte gerne jäten?

Inzwischen habe ich mich etwas kundig gemacht, schlicht, weil es mich interessiert, und dabei rausgefunden, dass „jäten“ vom Althochdeutschen „jetan“ oder „getan“ stammt. (Sogar die Althochdeutschen haben gejätet … ich stell mir gerade vor, wie ihre Werkzeuge beschaffen waren, und die Frage: Was war wohl Unkraut für sie? Ob die sich mit demselben Zeug rumschlugen oder es aber nutzten und dafür die sinnlosen Blümekens rausrissen? – „Was soll ich mit diesem Ding, das wir dereinst mal „Sterndolde“ nennen? Raus damit!“ – Hätt ich dreißig Leben, würde ich definitiv eines davon opfern, um die Gartenkultur zwischen 750 und 1050 n.Chr. zu erforschen.) Lassen wir mal die Betonung außer Acht, dann kann ich mich vor den Altvorderen nur verbeugen. Jäten = Getan. Wow. „Ich werde jetzt gleich getan tun.“ Das ist oberghandisch. Da ich bis zu eben diesem Moment nichts davon wusste, tröstete ich mich bislang mit einem äußerst platten, aber durchaus psychohygienisch wirkungsvollen Spruch: „Wir sehen uns wieder.“ Sagt das unkende Kraut zwar auch, aber ich noch mit einem Hauch an bösartigem Vernichtungswillen mehr. Nächstens wird alles anders: „Ich werde dich getan haben. Hä.“ Da hätten wir dann auch wieder das ä.

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