Bondage

Wenn man da etwas freudsch nachgraben würde, fände man vermutlich die Ursache in einem gewissen Hang zum Sadomasochismus, aber wer ist schon Freud.
Sagt mal, mögt ihr das? Dieses blöde Aufgebindegetue, dieses tüddel, tüddel Schnüre, Fäden, was auch immer um Horste Fummeln, dieses Krückstöcke in die Staudenzehen Rammen? Ich jedenfalls nicht.

Nicht, dass hier keine Pflanzen wüchsen, die das nötig hätten. Och, da gibt es einen ganz netten Haufen und irgendwie wird der stetig größer. Immerhin bei popligen drei wurde mir die Chose zu bunt. Aus Ligusterästen bastelte ich recht hübsche, oktaedrische Pflanzenstützen, dachte sogar daran, sie so anzubringen, dass sie mir nicht innerhalb von zwei Jahren wegrotten, und nun wachsen eine Staudenpäonie, ein Rainfarn und eine Färberkamille gebändigt in gesitteten Bahnen. Abgesehen davon, dass ich bei den letzten beiden die Triebe immer wieder händisch dazu ermahnen muss, bitte sehr nicht durch die großzügigen Löcher in den Stützen zu wachsen, war das eine durchaus probate Idee (man kann nicht an alles denken; das Verrotten war deutlich wichtiger). Je nach Saison sieht man mal nix von ihnen, weil so überwuchert, mal stehen sie als Mahnmal für künftige Glücksverheißung recht dekorativ herum, schön verteilt in dem anständig großen Bereich mit den geometrisch angelegten Wegen.

Überall geht das aber nicht. Nehmen wir die Rittersporne, die in einem ganz anderen Bereich wachsen. Da lauter Holz-Oktaeder? Bitte. Das ist ein Beet, keine Ausstellung des letztjährigen Vorschulkurses „Hui, wir nutzen die Liguster-Hecke mal für was ganz Kreatives!“ Außerdem käme ich ja gar nicht mehr zum Jäten, oder schon, aber dann lägen eines Tages alle Stützen wutentbrannt in Einzelteile gerissen auf dem Rasen. Und das wär dann ästhetisch auch nicht so der Brüller.

Und so läuft es jedes Jahr nach dem selben Schema. Ich erwarte von den Pflanzen, dass sie sich gefälligst zusammenreißen und nicht wegen jedem kleinsten Gewitterchen flunderplatt den Boden beblühen. Dieses Jahr war ich noch viel mehr ganz sicher, dass es klappen würde. Nachdem ich nur zwei Irisstängel im Nachhinein aufzubinden genötigt war und mir die noch nie so fetten Waden der Rittersporne begutachtet hatte, war ich mir meiner Sache und Überzeugung sicher: Man muss die Viecher bloß richtig erziehen, und mit einer netten Prise Vertrauen funzt das dann auch. Die haben doch ein genetisches Programm, die wollen doch nicht auf dem Boden rumliegen, wer, bitte, bestäubt denn was abgeschlafft Rumliegendes?

Das hat man davon, wenn man in die Genetik reinpfuscht, will sagen, das Reingepfuschte im eigenen Garten haben will. Kein Wunder, dass so überblütige Riesenrispen beim kleinsten Windhauch darniederliegen. Mit ein Grund, warum ich mir letztes Jahr die Nepeta kubanica gegönnt hatte. Es wurde aus kundigem Mund in die Vortragsrunde gesagt, dies wäre ein Wildfund und überdies trotz seiner imposanten Höhe standfest. Sozusagen täglich zeigte ich meinem Nichtgärtner die Wachstumsfortschritte der nordkaukasischen Schönheit und wurde nicht müde, dabei dauernd anzumerken: „Und die ist standfest!“ Irgendwann meinte er, sie neige sich inzwischen doch sehr nach links … wenigstens dafür, dass sie standfest sei. Ich blieb eisern. Nein, die Erde ist scheibern standfest. So. Inzwischen bildet sie ein nettes S, und die neben ihr zu wachsen versuchende Salvia nemorosa muss die Blütenköpfe einziehen. (Aber das alles ist zwei deftigen Starkregenfällen geschuldet und aufgemerkt: Sie liegt nicht darnieder, die Kubanica. Jawoll.)

Ach. Aufbinden, Zusammenzurren, Einengen, es geht mir einfach gegen den Strich. Dieses militärische in Reih und Glied hat mir noch in keinem Kontext gepasst, im Garten finde ich es schlicht vergewaltigend. Lieber steige ich über zig wild versamte Königslilien, als mir den Weg freizustäben. Nichts finde ich entzückender als eine Verbascum phoenicum, deren violette Blüten sich zärtlich an die eine quietschegelbgrüne Heuchera schmiegen (die hat mich im Laden dreimal dermaßen zum Lachen gebracht, dass ich sie beim vierten Mal kurzerhand gekauft hatte) oder einen schlangenförmig blühenden Fingerhut, der extra einen Schlenker zur vor sich hin mickernden Schneewittchenrose machte, auf dass man auch ihre Versuche, mal ein bisschen zu blühen, bemerken würde. Die eine Cimicifuga (ich habe gelesen, dass man die problemlos noch so nennen kann, was mich bis heute sehr glücklich macht) ramosa „Atropurpurea“ darf mir auf der einen Gartenautobahn ihre Blüten und später auch Samenstände unzählige Male in Augen, Mundwinkel und sonst wohin ins Gesicht knallen, das alles ist gut so.

Besser jedenfalls als das stirnrunzelnde Zähnezusammenbeißen, wenn die Maus keinen Faden mehr abbeißt und das Zusammenbinden Schlimmstes verhindert, nämlich abgebrochene Triebe, über die ich tagelang jammern kann. Mit einem Auge äugend, wohin der Fuß treten darf, und dann auch noch der blöde andere, unter einem Arm ein stäbendes Element, mit Hilfe dessen man bei der Seiltänzerei gerade eben eine Blütenrispe gekappt hat, beim fluchenden Rückwärtsblick den zitternden Halt verlierend und pflatsch handvorwärts mitten in das vorletzte von ehemals 22 selber aufgezogenen Lobelienhätschelchens rein. Warum 20 das Zeitliche segneten, erzähle ich gerne. Aber nicht jetzt. Jetzt hat man immerhin eine gewisse Standfestigkeit erreicht und rammt das Stäbende in den Boden. Versucht es jedenfalls. Irgendwann zuckt man die Schultern und meint, die paar Zentimeter müssten reichen. Und dann dieses blinde Rumtasten um den dicken Horst, bis das Bindematerialende ergriffen ist (inzwischen: minus zig Blätter und ein dicker Trieb), so, man hat’s, zieht durch (wieder minus) und bindet fest. Man schätzt die mögliche Rückhüpfquote ab, hopst zielsicher, für einmal ohne Minus, und guckt sich das Ganze von der Normalperspektive aus an. Schlimm.

So ist das. Da läuft das Schreiben gerade wie eine Eins und dann kommt: „Könntest du mir noch den Lauch ernten, den du vorgestern beiläufig erwähnt hattest, oder hast du vor, ihn blühen zu lassen?“ Das war keine ironische Frage, gewisse Dinge werden hier bewusst nicht vor der Blüte geerntet. Also auf, ernten, und sich gleich wieder den Laptop auf den Schoss setzen, damit es weitergeht. Aber den Faden habe ich verloren und das Getränk ist ein aufzufüllendes. Ich bitte um eine weitere Pause.

Den Faden wieder aufzunehmen, finde ich gerade sehr schwierig und verfluche den einen Lauch. Hätt ich ihn doch blühen lassen! Genau. Da haben wir’s wieder. Der Natur ihren Lauf lassen und nicht korrigierend eingreifen, schon gar nicht mit roten Fäden. Nun ja. Ich sitze gerade unter der nicht angebundenen Glyzine, die ihre erste Blütenpracht schon beinah abgeworfen hat und gucke zum einen blauweißen Beet. Da sind nur drei gestäbte Bondage-S-Ritter und eine Clematis integrifolia, die das Glück/Pech hatte, beim Ritterbinden in unmittelbarer Augenblicknähe zu sein. Alle anderen – ob Ritter oder nicht – sind ungebunden und erfreuen sich der dürren Trockenheit. Das nächste Gewitter ist laut Meteo in fernster Ferne. Ach ja. Bis dahin sind die meisten verblüht, dann muss ich eh schneiden.

 

Nachtrag: Schreiben ist wirklich was Erstaunliches. Nur auf Grund dieses Getippsels beschloss ich einen Tag später, die Kartoffeln so einzuzäunen, dass sie mir nicht – wie immer bisher – übers benachbarte Gemüse fallen. Außerdem band ich die Zwiebelblüten zum ersten Mal (Tusch!) zünftig zurecht, damit sie kein Haustier vor der Samenreife zu Tode trampeln kann. Und die Nepeta kubanica habe ich zurückgeschnitten. Der Salvia und Ästhetik zuliebe. Es herrschen hier plötzlich Zucht und Ordnung, wer hätte das gedacht!
Die restlichen Ritter stehen aber noch ungepfählt. Trotz heftiger Böen seither. Und die gestäbten wachsen gemeinsam mit dem Stab quer. Das zu dem.

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