Besuch

Früher freute ich mich immer riesig auf und über Gäste, konnte es kaum erwarten, bis sie endlich angekommen waren, und mochte sie nur ungern wieder ziehen lassen.
Bis ich einen Garten hatte.

Gut, anfangs war das noch nicht so problematisch, ich konnte eine etwaige Schuld ja stets auf die Vorgänger schubsen, aber es dauerte nicht lange und die ersten Nöte tauchten auf. Ankündigungen wie „Jetzt muss ich dann aber wirklich mal deinen Garten sehen.” lassen seitdem meine Oberlippe ängstlich erzittern. Oh Gott, oh Gott. Jetzt? Jetzt? Jetzt ist immer schlecht, in (vor) mindestens zwei Wochen jedoch wäre es perfekt (gewesen). Egal, zu welchem Zeitpunkt ich gefragt werde. Irgendwann nützt auch das nichts mehr, du musst Nägel mit Köpfen machen und in den unreifen (oder eben verfaulten) Apfel beißen.

Nun besteht der größte Teil unseres Gästekreises aus Nicht- oder höchstens Zweidrittelgärtnern. Für sich genommen ist das ja auch gar kein Problem. Wäre da nicht die eine unumstrittene Tatsache: Wir Gärtner sind halt schon reichlich seltsam. Um nicht zu sagen, gaga. Einhergehend mit dem herkömmlichen Gagaismus haben wir eines verloren, was unwiederbringlich ist: Die florische Unschuld.

Nie wurde mir das derart bewusst wie bei unserem vorletzten Besuch. Die Woche zuvor war ich schon am Hypern. Was, bitte, bringt es, wenn ich den Leuten erkläre: „Also da, wo so Löcher sind, da wachsen normalerweise wunderschöne Rittersporne, mit ganz tollen Blüten, aber die sieht man erst in etwa vier Wochen wieder. Und die Löcher um die Löcher, das waren die 22 Lobelien, die von den Hühnern gewissenhaft entfernt worden sind – eigentlich wäre da jetzt ein blaues Meer. Und dort …“? Also musste alles rundherum proper aussehen. Rasenkanten hab ich gestochen, Platten gewischt, Verblühtes ausgeputzt, ein-, um-, ausgetopft … nach viel mehr sah es trotzdem nicht aus. Überdies fehlte mir schlicht die Zeit, die andere Hälfte des Gartens, nämlich die vor dem Haus, überhaupt zu betreten. Der Kräutergarten mit noch nicht geschnittener Buchshecke war ein einziges Sodom und Gomorra, ein Tohuwabohu aus Unkraut, bereits Abgestorbenem, Rumstängelndem und Kreuz-und-Quer-Wachsendem. Von den Hängen ganz zu schweigen. Der Gehölzhang etwa. Egal, wohin man schaute, man sah nur Zaunwinden und irgendwo darunter so was wie, vermutlich, Sträucher.

„Mein Gott! Die sehen das doch gar nicht, mach dir nicht so einen Stress deswegen!“ meinte mein Nicht-Gärtner. Auf mein gegrummeltes „Aber-da-geht’s-um-Ehre-und-so“, kam sein „Hallo! Das sind Nicht-Gärtner! Die – sehen – das – nicht!“ Ich grummelte noch ein bisschen und tat dann so, als gäbe ich ihm Recht.
Nein, ich habe kein Problem damit, diese meine größte Charakterschwäche so öffentlich darzulegen. Ja, ich bin von Garteneitelkeit geschlagen, jede jätende Faser meines Körpers ist von ihr durchdrungen. So.

Der Besuch kam, macchiavellisch bereitete ich den Apero auf demjenigen Sitzplatz vor, der die beste Sicht auf den besten Teil des Gartens lenkte, geleitete die Gäste elegant und unauffällig ohne Umschweife dorthin und bemerkte zu spät, wie einer von ihnen sich davongeschlichen hatte, um rund ums Haus zu gehen. Meinem Nicht-Gärtner flüsterte ich hoffnungslos ins Ohr: „Du, der sieht jetzt gleich den Sündenpfuhl. Mensch. Ich mag wirklich nicht hören, was er dazu sagt.“ Der Gast kam um die Ecke, setzte sich mit einem wohligen Seufzer, nahm sich ein Aperohäppchen und verkündete: „Doch, doch. Sieht obergepflegt aus, der Garten. Kompliment!“ Mein Nicht-Gärtner grinste in sein Bier und ich nahm einen großen Schluck Sekt. (Ich kenne mich. Mit leerem Mund hätte ich sogleich erklärt, dass da gar nix gepflegt ist und sorgsam auseinandergedröselt, was alles nicht ist, wie es sein sollte. Diese instinktive Reaktion konnte ich übrigens schon bei vielen anderen Gärtnern beobachten. Ich sag ja. Gaga.)

Wenn ich meinen Garten beschreiben müsste, dann, so meinte ich, böte er für verschiedene Leute (vor allem für die Kategorien Nicht- bis Dreiviertelgärtner) einiges an Interessantem, mit Süß-, Oh-, Schön-, oder Wowfaktor. Meinungen decken sich offensichtlich öfters mal nicht mit der Realität.

Die zwei weiblichen Gäste wünschten sich einen Gartenrundgang, also wandelten wir gemächlich durch das grüne Zeug, während ich peinlich darauf bedacht war, ihren Blick möglichst auf – wie ich meinte – spezielle Dinge zu lenken. Auf alle Fälle weg von allem, was mir hätte peinlich sein können. Ich red jetzt nicht lange drumrum. Die beiden sahen viel, guckten auch viel, es kamen einige schüchterne Ohs, aber bei einem – und zwar nur bei diesem – flippten sie regelrecht aus: „Du, Nick! Was ist diese Hammerblüte dort drüben? So was Schönes hab ich ja noch nie gesehen!“ Ich scannte schnell und guckte ratlos um mich. Es musste sich um was Großes handeln, Nicht-Gärtner sind nicht so fürs Filigran-Kleine. Die Arisaema? Eine der Hems? Die William Shakespeare? Die … „Nein, dort, am Zaun.“

Und so geht’s dir. Da meinst du – verblendet in deiner Eitelkeit -, du könntest Nicht-Gärtner mit zig Blüten flashen, aber so richtig geblitzdingst werden sie … von einer profanen Zwiebel. Einer Zwiebel! So einer, wie man sie zum Kochen braucht! Ich mein … ja, sicher. Sie ist schön, kein Thema. Aber … jetzt im Ernst. Eine Zwiebel. Sachma.
Völlig verunsichert zwang ich die beiden dazu, die zwei Arisaema-Hammerteile genauer anzuschauen (ging bequem, weil direkt neben dem Sitzplatz im Hochbeet). Sie taten mir den Gefallen, schauten hin, sagten höflich: „Ah, ja.“ und schwärmten weiter von dem Küchenteil.
Das Frappante an der ganzen Geschichte ist ja, dass sie die Löcher um die Löcher gar nicht erst wahrgenommen hatten. Dank der Tswiebel. Versteht ihr, was ich oben meinte mit der verlorenen Unschuld?

Danach gings zum Kräutergarten. Das mit dem Unkraut, der fehlenden Zeit und etcetera hatte ich dann doch noch erklärt, damit sie nicht etwa denken könnten, dass … und weil zu viele große Sektschluckereien irgendwann kontraproduktiv gewesen wären. Kräuter und Gewürze faszinieren Menschen, da muss man gar nicht viel dazu sagen. Ich kündigte ihnen darum an, sie könnten mir zu allem Fragen stellen, was sie interessiere, ansonsten würd ich mir bloß den Mund fusselig reden und sie – Gott behüte – vielleicht gar langweilen. Die Monarden vermochten kurz die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und dann kam das offensichtlich Spannendste: „Die Hecke ist ja der Hammer. Das ist der Buchs, den du schon vor Jahren gesteckt hattest, nicht wahr? Wie lange dauert es eigentlich, bis so was dicht zusammengewachsen ist? Wow. So lange. Schön ist der.“ Eine geschlagene halbe Stunde waren wir dort unten. Der Buchs blieb Thema Nr. 1. Ich will ja jetzt nicht undankbar erscheinen, aber so ein kleines bisschen fühlte ich mich wie ein Maler, dem man anerkennend zuraunt: „Dieser Rahmen! Der Wahnsinn! Wie lange haben Sie gebraucht, um den zu finden?“

Küchenzwiebel und Buchshecke. Ächz. Nach diesem Besuch wusste ich es ein für allemal. Ich verstehe Nicht-Gärtner nicht (mehr).

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