Farnweh

Ich bin ein Wald- und Höhlenmensch. (Letzteres spielt für diesen Text keine Rolle, ist aber wahr und tönt so nett, dass ich es trotzdem anführen wollte.)

Als Kind stellte ich mir vor, wie ich – wäre ich mal groß – im Wald mein künftiges Haus errichten würde, das Schlafzimmer sicherheitstechnisch oben in der Krone des größten Baumes, ständig umweht vom Duft nach feuchtem Moos, Laubmoder und Harz. Inzwischen bin ich groß, unser Haus steht in einem Dorf, duften tut es mal nach Gülle, Grasschnitt oder Blüten und der größte Baum ist die ererbte Blaufichte, in der nicht ich niste, sondern Milane oder Elstern. Aber immerhin muss ich nicht weit gehen, um mich mitten in der schönsten Waldeinsamkeit zu befinden.

Aus eben dieser holte ich auch meine ersten zwangsadoptierten Farne. Mit Handschäufelchen und papierenem Migros-Sack. Die Wurmfarnkinder setzte ich in das feuchte Nordhänglein direkt beim Haus und erhoffte mir in Bälde einen verträumten Dschungel aus dem keck ein weißblütiger Rhododendron gucken sollte. Nun kann man es diesem Athyrium filix-mas hoch anrechnen, dass er ein anspruchsloser, üppig wachsender und sehr treuer Geselle ist. Und das tat ich auch. Anfangs. Auch noch nach drei Jahren, als ein regelrechtes Farnmeer in diesem Hang wogte und es so hoch wurde, dass ich mit den Händen über die Wedelspitzen streifen konnte, sofern ich mich übers Terrassengeländer lehnte. Das machen normale Menschen nicht, darum blieb ich auch die Einzige, die das tat. Den anderen genügte der Anblick, um hingerissen zu sein.

Es ist ein eigen Ding mit Farnen. So sehr ich auch in meinen Erinnerungen wühle, ich könnte beim besten Willen niemanden nennen, der ungerührt an diesem wedelnden Meer vorbeigelaufen wäre. Nicht mal Leute, die mit Gärten und dem Schönfinden derselben so viel am Hut haben wie ich mit Hühneraugenpflastern. Woher diese Faszination wohl herrühren mag? Es ist ja nun nicht jeder ein so begeisterter Waldmensch. Liegt es an der Farbe Grün, die bei uns allen ein Wohlgefühl auslöst? An dieser instinktiven Reaktion, die tief in unseren Genen verankert ist und die uns versichert: wo es grünt, da ist auch Nahrung zu finden? Mag sein. Dem steht aber der Umstand entgegen, dass sich mein Grüntonmeer rein farbtechnisch nicht sehr von meinen Rasenflächen unterschied. Vor denen aber blieb bis heute noch nie jemand mit offenem Mund stehen. Seltsam. Es ist fast, als wüssten alle beim Anblick eines Farns, dass sie da vor etwas Urtümlichem stehen. Vor einem Urgestein, das seit Menschengedenken existiert. Um genauer zu sein, sogar noch 397 Millionen Jahre länger. In etwa. Und so was hat, wie ich meine, durchaus einen offenen Mund verdient.

Wie dem auch sein mag, ich war entzückt. Bis mir eines Winters, als die Wurmfarne ihre Wedel dürr, hellbraun und grauslig entgegenstreckten, der junge Rhodo in die Augen stach, denn erst jetzt konnte man ihn halbwegs ausmachen. Ohne dass ich überschwänglich abschweifen wollte, seien ihm doch zwei, drei Sätze gegönnt. Er war ein ohnehin schon tief verstörtes Geschöpf, das mitten im Herbst zu blühen pflegte, um dann im Frühling um die Ecke zu gucken, den anderen blütenreichen Kumpel zu sehen und es ihm verstohlen gleichtun zu wollen – was aus nachvollziehbaren Gründen nur halbherzig klappen wollte. Doch nun, mit seinen neuen Nachbarn, pumperlgesund in jeder Hinsicht, fühlte er sich so auf die Zehen getreten, dass er komplett zu wachsen aufhören wollte. Einige wenige Jahre später verlor ich die Geduld endgültig und sägte ihn erdbodennah ab, aber das konnte ich zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht wissen. Es mussten also die Farne weichen, jedenfalls die mobbenden Bedränger im nächsten Umkreis. Und so machte ich mich ans ausstechende Werk.

Wurmfarne schätzen es nicht, von da, wo sie es sich breit und bequem gemacht haben, wieder vertrieben zu werden. Man sträubt sich mit aller Macht und einem Wurzelfilz, der endlos scheint. Und doch hätte es mich schlimmer treffen können. Nahe der Waldstelle, von der meine Wurmfarnkinder stammten, wächst in einer grossen Lichtung Pteridium aquilinum, der Adlerfarn. Dieser Geselle ist von solch erhabener Schönheit, dass ich ihn ganz sicher mit nach Hause genommen hätte, und damit den wedelgewordenen Fluch auf Rhizomen. Jedenfalls, wenn man ihn wieder loswerden möchte. Glücklicherweise aber sieht man oft nur das, was man zu wissen glaubt, und meines Wissens bestand unsere einheimische Welt der Farne aus eigentlich nur einem. Welch Überraschung also, als mir beim Roden um den Rhodo plötzlich deutlich filigranere Wedel auffielen. Tatsächlich hatte sich beim damaligen Sammeln im Wald nebst den Dryopteris-Jungs unbemerkt ein »Weibchen« in den Papiersack geschlichen. Und so kam es, dass ich einem mir damals noch unbekannten Athyrium filix-femina meinen Farnerweckungsmoment zu verdanken habe.  

Es ging weiter, wie es in aller Regel immer weitergeht. Man hat Freunde, die nichts Besseres im Sinn haben, als ihre sehnenden Süchte mit einem zu teilen, und wird mit einem geschenkten Polystichum setiferum ‘Plumosum densum’ angefixt. Auf arg- und hinterlistigste Weise folgt der nächste Schritt. Den Geburtstag zum Vorwand nehmend stattet man einen mit Adiantum pedatum, Asplenium scolopendrium ‘Crispa’, Coniogramme japonica, Drypoteris affinis (borreri) und drei Woodwardia-radicans-Babys aus, flüstert wohlwollend: »Jetzt hast du ein anständiges Startpaket«, und überlässt einen dann schnöd dem immer größer werdenden Verlangen. Ist man ihm dann gänzlich erlegen, dem Farnweh, wird zum letzten Coup ausgeholt: »Du, Nick, könntest du auf dem Weg zu mir kurz bei dieser neuen Farngärtnerei in Härkingen vorbeischauen? Dort liegt eine Bestellung für mich bereit und es wäre super, wenn die nicht verschickt werden müsste. Vielleicht findest du ja auch was für dich, die haben da wahnsinnig tolle Sachen, sag ich dir.«

Mit zum Schönsten beim Gärtnern gehört für mich, dass die Natur immer wieder aufs Neue zu überraschen vermag. Totgeglaubtes aufersteht wider alle Regeln der Logik, Botanik und Wahrscheinlichkeit, man stößt auf die inzwischen fünfte, neu gegründete Tigerschnegelgroßfamilie und findet heraus, dass scheinbar Steriles sich unverhofft versamt hat. An gänzlich unerwarteter Stelle.
So auch kam es, dass sich die Grüntöne, ein paar Beete weitergehüpft, um dieses Auftragspflänzchen für Farnwerk, oben erwähnte Farngärtnerei, vermehren wollten.


4 Kommentare

  1. Liebe Nick,

    zum Thema franWEH kann ich hier Dir aus Norddeutschland berichten: Der beste Pflanzenmarkt hier im Norden findet zwei mal im Jahr in einem Freilichtmuseum südlich von Hamburg statt, dem Kiekeberg.
    Dort findet sich auch jedes Mal der großartig sortierte Farnhändler van Driel ein, an dem man einfach nicht vorbeikommt.
    Seit ich meinen Dschungel dazubekommen habe – ehrlicherweise auch schon vorher – neige ich zu Raffkäufen. Erschwerend hinzu kommt, daß die Bauarbeiten noch nicht beendet sind und meine neuen Mitbewohner noch in Töpfen vor sich hindümpeln. Dieses Mal hatte ich deshalb glücklicherweise vorher in meine eigene Gartenkartei gesehen, um festzustellen, daß ich den begehrten Blechnum chilense bereits letztes Jahr bei ihm gekauft hatte… So war der feststehende Wunsch (neben den diversen „Beikäufen“ ein blechnum tabulare. Den hatten sie nicht mit, aber darüber plauderte ich mit seiner reizenden Frau.
    Aber, was erzählt sie mir, als ich sie bitte, mir nächsten Herbst einen mitzubringen? Daß ich mich beeilen müsse, da sie nicht mehr ansäen, weil sie in fünf Jahren dicht machen!
    Nun gönnt man ja Menschen den wohlverdienten Ruhestand (obwohl die noch ziemlich fit aussehen und meinetwegen noch…), aber wie soll ich ohne diesen Händler weiterleben?
    Nächsten Herbst werden wir einen Hamsterkauf machen und puh!

    Um aber auch was Schönes zu erzählen: vor nicht mal 8 Jahren kaufte ich einen Schneemohn (Eomeon chionantha). Der wird schon in der Literatur als blühfaul beschrieben – kann ich bestätigen – aber die Blätter sind auch sehr hübsch.
    Letztes Jahr habe ich in unserem neuen Dschungel ein paar Wurzelstücke vergraben und: das Wunder ist geschehen!

    An Dich viele liebe Grüße aus dem Norden

    von Claudia

    1. Danke dir, Claudia, für deinen spannenden Kommentar!
      Farnhändler scheinen ein speziell sympathisches Völkchen zu sein. Welch Jammer, dass “deine” bald aufhören werden. Unbedingt Hamsterkauf! Unbedingt! Und die nächstens fünf Jahre noch oft mit ihnen plaudern.
      Grüss den Eomeon von mir und doch bitte auch alle Farne (jeden einzeln, bitte schön ;-D)
      Nicole

  2. Liebe Nicole,
    dein Farn-Stückchen in den unverhofften Grüntönen war sowas von stimmungsvoll und dazu angetan, das unbändige Sammelfieber zu entzünden, dass ich nur froh bin, dass ich mich mit dieser Leidenschaft bereits in ruhigem Fahrwasser befinde, will sagen: alle in Frage kommenden Stellen sind hier bereits entsprechend besetzt, und weitere Wünsche nicht wirklich offen. Du hast “Farnwerk”, ich habe Wouter van Driel… Aber es wird wirklich Zeit, dass die Farbe Grün aus ihrer Statistenrolle befreit und mehr beachtet wird.

    1. Och, wie schade! Ich wäre zu gerne der Auslöser für ein neues Sammelfieber gewesen. Aber noch ist nicht aller deiner Tage Abend – neue Pflanzplätze, wie wir ja wissen, vermehren sich auf wundersame Art früher oder später. ;-D

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