Es ist alles eitel

ch war gerade dabei, einen weiteren Teil meiner sehr breiten und langen Lavendelhecke zu roden, als ein heranrollendes Auto neben mir anhielt, das Fenster runtergekurbelt wurde und ein mir entfernt bekannter, sehr netter Mann rausguckte.
„Na? Am Lavendelroden? Tja, es geht halt allen gleich. Diese Lavendel verkahlen nach kurzer Zeit und dann muss man sie rausnehmen.“
„Nein, nein, wenn man richtig schneidet, passiert das nicht, diese Hecke hier sah immerhin zehn Jahre lang perfekt aus. Der Grund …“
„Ich sag’s ja, es geht allen gleich. Wir hatten auch den ganzen Hang mit Lavendel bepflanzt, die mussten wir nach kurzer Zeit alle wieder rausreißen.“
„Nein, der Grund hier war ein anderer, nämlich jener böse Winter. Die Hecke erholte sich von den Folgeschäden nicht mehr und darum …“
„Eben, die verkahlen, da kann man nix machen.“
Die ist nicht verkahlt, der starben einzelne Äste mittendrin ab, außerdem …“
Der Mann lächelte liebevoll, fuhr an und rief zum Schluss noch aus dem Fenster:
„Ja, ja, es geht halt allen gleich!“
Da stand ich dann verdutzt mit der Astschere in der einen Hand, wischte mir mit der verdreckten anderen den Schweiß von der Stirn, guckte dem Auto nach, murmelte Dinge, widmete mich wieder den Lavendeln, geriet ins Grübeln und blieb dabei an einem Satz hängen, der mir seit den letzten Jahren ein treuer Begleiter ist und vermutlich sehr vielen anderen, denn es geht ja allen gleich:

„Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein.“ Wie wahr. Wie befremdlich wahr, wenn dieser Dieser und jener Jener ein und dieselbe Person sind. Was habe ich im Garten schon alles für die Ewigkeit angelegt, eingepflanzt, hingehämmert, festgebunden und einbetoniert, um es nach einigen Jahren oder … Monaten … schon wieder ein-/auszureißen. Es war mir wie gestern, als ich behutsam die kleinen Lavendelpflanzen gesetzt hatte und es kaum erwarten konnte, dass sie dereinst einen dichten Rahmen bilden würden, jahrzehntelang, bitteschön. Wie stolz war ich, als mein Wunsch viel früher als erwartet in Erfüllung ging, aus den Kleinen stattliche Riesendinger geworden waren, die Schulter an Schulter jedem Passanten ein schnupperndes Lächeln entlockt hatten. Wehmütig dachte ich an das sommerliche röhrende Gesummse und lüsterne Gewühl in den verschwenderisch blühenden Rispen. Nein, ich riss nicht gerne ein. Wohlan, es musste sein. Mit dem tröstenden Gedanken, künftig nicht mehr im Herbst und Frühling stundenlang daran rumschneiden zu müssen, machte ich also weiter. Vorgestern wurde ich schließlich fertig und – was soll ich sagen – sogar wenn die Büsche noch gesund gewesen wären, es ist jetzt erstaunlicherweise viel schöner. Alles hat offenbar seine Zeit.

Und alles ist vergänglich. Eine bittere Lektion, an der man insbesondere im Garten nicht vorbeikommt. Da wird ja – auch wenn man von der Fauna absieht – ständig dahingestorben oder vergangen und dies mit einer lüsternen Wonne, dass einem angst und bange wird. Doch nicht nur, dass gewisse Pflanzen sich gemäß ihrer beschränkten Lebenserwartung oder der Unbill der Natur geschuldet viel zu früh verabschieden (gut, manchmal bin ich ja froh drüber, doch meistens eben nicht), und nicht nur, dass gewisse Exemplare von uns – ich zähl mich da ganz unbescheiden dazu – ein herrliches Talent dafür haben, stumpfsinnige Fehler zu machen, die wiederum die unangenehme Eigenschaft haben, behoben werden zu wollen, … das bereits ist mehr als nur ein Nasenstüber für mein Bedürfnis nach „So. Dieser Bereich ist nun perfekt. Damit hast du künftig nix mehr zu tun.“ … aber es geht ja noch weiter.

Nicht nur s. oben und nicht nur wie gesagt, nein, wir wankelmütigen Menschenwesen ändern auch in unvorhersehbarer Regelmäßigkeit unseren Geschmack. Wie konnte ich bitte ahnen, dass mir profaner, inzwischen bis in den Nife-Kern eingewurzelter Efeu unwillkürlich keine spitzen Jauchzer mehr entlocken würde oder dass ich plötzlich einem bisher nie gekannten Farnweh erliege, ohne den Platz oder die Pinke dafür zu haben? Es steigen unweigerlich selbstzweiflerische Gedanken in einem hoch, wenn man eine gerade eingewachsene Buchshecke entfernte, stattdessen eine Lavendelhecke setzte (weil angrenzend an die oben erwähnte, darum schöööön), nach zwei Jahren rausfand, dass das dort echt nicht aussieht, und darum stattdessen wieder neue Buchsstecklinge pflanzte (um die nächstens rauszunehmen, weil der Pilz bald übergreifen wird). Zig weitere Beispiele hätte ich für diese verflixt und zugenähte Tatsache, dass ich heute missbilligend benaserümpfe, was ich gestern noch lodernd herbeisehnte und umgekehrt. Es ist zum Heulen.

Immerhin sind auch Heulattacken vergänglich. Zudem werden sie mit reifendem Alter deutlich weniger. Ebenso wie die Fehler (wenigsten die dämlichsten). Sogar der geschmackliche Sinneswandel ist nicht mehr arg so quecksilbrig-oszillierend drauf wie auch schon. Und wenn mich die Vergänglichkeit doch mal wieder auf dem falschen Fuß erwischt und mir den Boden unter selbigem wegzieht, dann hilft mir mein Nichtgärtner. Wie damals, als er mich dunkelschwarz niedergeschlagen zwischen den zwei pestbeulenverseuchten Riesenbuchskugeln vorgefunden hatte. „Hör mal, das gehört dazu. Auch wenn’s weh tut, jetzt ist da Platz für Neues. Betrachte es doch als Chance.“ Wie wahr. Wie beruhigend wahr. Ich hievte die letzten Lavendeläste in den Kofferraum, drehte den Zündschlüssel um und dachte beim Losfahren an meine Lieblingszeile von Hesse: „Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“

 

  • Die Überschrift Es ist alles eitel habe ich von Andreas Gryphius geklaut, der 1637 ein Gedicht mit demselben Titel geschrieben hatte. Eitel bedeutete damals noch „vergänglich“. Und weil das Klauen solchen Spass macht, stibitzte ich gleich noch die Zeile Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein. (1637. Eben. Es geht halt allen gleich.)
  • Farnweh ist ein Neologismus eines bekannten Pur-Users, der mit Pauken und Trompeten in meinen privaten Duden aufgenommen wurde. Das Wort, nicht der User. Wobei …
  • Saumäßig literarisch dieser Text.