Neuanfang

Auch beim gefühlt trilliardsten Hinunterschauen konnte ich nur mit Mühe an mich halten. Für einmal, kaum zu glauben, hatte ich alles richtig gemacht! Gut, vielleicht nicht ganz alles: Das Schönste nämlich an meinem brandneuen «Gemütsgarten» – sein labyrinthig-halbrundes Dasein – erschloss sich einem erst, wenn man nicht mittendrin, sondern im ersten Stock am Fenster stand. Aber wir wollen nicht kleinlich sein. Bereits beim Planen war er die Krönung meines Gartenschaffens und Neuanfangs: ein Gemüse- und Kräutergarten, der praktisch-pragmatisch und Augenweide zugleich ist, bei einem Wegzug umgehend in seinen Ursprung als Rasen zurückverwandelt werden kann, mich beim verspielten Anlegen ungemein ergötzt und – abgesehen von zweier Hände Arbeit – nichts gekostet hat. Und siehe da. Wie noch nie etwas zuvor bezauberte er ausnahmslos alle, selbst gemüseferne Ziergärtner, erklärte Nichtgärtnerinnen, Kinder und Katzen.

Gerade Letztere waren besonders bestrickt von meiner Eingebung, die Wege mit weich federnden Mammutbaum-Nadeln auszulegen. Während ich mich dafür lobte, zu nutzen, was mir eh vor die Füsse fiel – säckeweise und fortlaufend dahin, wo es auch noch weggewischt werden musste –, nutzte man es für eigene Zwecke. Fortan blieb mir nur noch schwerstbewaffnet mit Hundekotsäckli und Argusaugen die Wege zu betreten. Als hätte das nicht gereicht, scharrten die Katzen nach jedem Geschäft die Nadeln in die Beete und mitten auf das dort wachsende Essbare. In umgekehrter Richtung taten es ihnen die geflügelten Pendants gleich. Auf der Suche nach Leckerem liessen Amseln lustig Laub, Rasenschnitt und Ernterückstände aus den Beeten auf die einst schmucken Wege fliegen. Und als i-Tüpfelchen machte sich in jedem urbar gemachten Quadratzentimeter der Horn-Satansklee (Oxalis corniculata) breit. Ohne Natur, könnte man meinen, wäre die Krönung auch wirklich eine geblieben.

Dabei konnte ich ihr dankbar sein, dieser Natur der Amselkatzen, denn sie zwang mich zu einer weiteren krönenden Idee. Der nämlich, die Beete verblüffend simpel mit sowieso anfallendem Strauchschnitt einzufassen. Das war grandios und sah auch so aus. Zwar hängte sich die Minihecke auch grandios gerne in Hosenbeinöffnungen, aber man geht eh zu schnell durchs Leben. Etwas auferzwungene Achtsamkeit kann da nicht schaden. Noch viel besser aber: Für einmal, ich wagte es kaum zu glauben, hatte ich richtig Glück. Im zweiten Jahr verdünnisierten sich der Klee (dank meiner jätenden Hand) und die Katzen aus dem nun k-k-freien Krönungsgarten. Allein … das nächste Aber linste schon um die Ecke. Just jetzt, nach insgesamt nicht mal zwei Jahren, galt es weiterzuziehen und die Krone meines Schaffens zurückzulassen. Mitten im Sommer. Als wäre es nicht eh schon schwer genug gewesen.

Doch war es damals nicht auch ein Abschied, der mich auf den Gemütsgarten brachte? Es war. Mit jeder Türe, die (s)ich in meinem Leben schloss, öffneten sich kurz darauf viele neue. Wer gärtnert, wird jetzt wissend nicken: Stirbt eine Pflanze und macht ihren Platz im Beet frei, hüpft in Nullkommanix etwas Neues dorthin (oder wird von lenkender Hand gehüpft). Und nicht selten ist das Neue deutlich besser. Die Natur lehrte mich das Loslassen. Und unerschöpfliche Hoffnung. Denn, nach jedem Winter, immer wieder, erwacht das erste Schneeglöggli und mit ihm der Frühling.

In diesem Sinne: Seid herzlich verabschiedet! Mein Gemütsgarten im nun fernen Westen, diese Kolumne und alle, die gerade jetzt, in diesem Moment, das hier lesen. Das nächste Schneeglückchen kommt. Bestimmt.

Mit unverblümt-schelmischem Vergnügen berichtete ich ein Jahr lang in der Zeitschrift Pflanzenfreund regelmäßig über das, was gemeinhin verschämt unter den sattgrünen Rollrasen gekehrt wird: Misserfolge, Missgeschicke und Misstritte – mit Vorliebe die eigenen. Und so auch hier.

Zum Beitragsbild: Zu dieser Kolumne gehört auch ein Autorenporträt, das in typischer “Pflanzenfreund”-Manier für jeden Beitrag neu geknipst wird. In und von meinem Umfeld. Dieses hier stammt von meiner lieben Freundin Carmen Hocker, die dafür extra in den ersten Stock raufging.

6 Kommentare

  1. Ach Nick, ein Abschied von den Grüntönen, von den Verflixtereien? Das ist sehr traurig.
    Vielen Dank für Deine augenzwinkernden, sprachgewandten Texte! Ich hoffe, schon bald öffnet ein Schneeglückchen ganz speziell für Dich und Deine Muse sein Glöckchen;-)
    Liebe Grüße Rosenfee

  2. Hoffentlich dürfen wir Dich bald wieder lesen, liebe Nick. Ich wünsche Dir jedenfalls nur schöne Überraschungen und viele Gartenglückchen und -glücke hinter der neu geöffneten Tür.

  3. Oh, wie schade! Kaum habe ich den Blog und deine wunderbaren Texte entdeckt und angefangen, sie wirklich zu genießen, ist es schon vorbei.

    Hoffen wir mal auf die neuen Schneeglöckchen und die energiegeladene Muse.
    Bis dahin alles Gute und Danke für das Vergnügen 😘

  4. Salü Nick

    Das notiere ich mir für die Saison 2023
    “und – wenn du magst:
    Auf unserer Waschbetontreppe ist immer ein Plätzchen frei, auch und besonders für dich.”

    Den hier war ich noch nicht.
    ” .. Gemütsgarten im nun fernen Westen”
    Auch schon eine Weile her als der Besuch aus dem Dickicht/BB da war und ich dazu kam. Jedenfalls am vorhigen Gartenort.
    Auf jedenfalls gute Winterzeit.

    Herzliche Grüsse aus dem Berner Mittelland 🙂

    1. “Denn, nach jedem Winter, immer wieder, erwacht das erste Schneeglöggli und mit ihm der Frühling.”
      Auf die Schneeglöggli ist eben immer Verlass.;) (Und übrigens sind die schon unterwegs, wenn auch noch mehr unterirdisch, aber es spitzelt schon, ha!)

      Alles Gute auf deinen (Garten-) Pfaden 2023!
      (Und dem halbrundigen Gemüse-Kräuterbeet bleibt doch zu wünschen, dass es nicht gleich oder gar nicht wieder zu Rasen wird, sondern dass sich jemand anders dran erfreut und es pflegt.)

      LG Uschi

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