Jubel

Gastautorin: Die maßvoll Zügellose

Ich soll, ich darf den Beitrag zum Grüntöne-Geburtstags-Blog schreiben … Ich, die ich blogmäßig eine absolute Spätzünderin bin, eigentlich eine Vermeiderin sogar.
Einerseits, weil mir für derart Soziales schlichtweg die Zeit fehlt: neben Job, 1500 m2 (maximal gefülltem, minimal gesteinigtem) Garten, Hund, vier Katzen, plus/minus vierzig Hühnern/Hähnen, Ehemann, Freunden, Lektüre und Haushalt (die Kinder sind inzwischen immerhin ausgeflogen) bleibt da wenig Spielraum. Zwar hat uns ein Professor, bei dem wir uns einmal über ein Zuviel an Arbeit beschwerten, entgegengehalten: »Was wollen Sie? Der Tag hat 24 Stunden und die Nacht!«, doch bin ich offenbar eine ziemliche Niete im Time-Management.
Andererseits, und das ist wohl der eigentliche Grund für meine Blog-Abstinenz, konnte ich den diversen Blogs, denen ich zufällig und en passant im Internet begegnete, immer recht wenig abgewinnen. Die Inhalte waren, nun ja, überwiegend zum Gähnen.

Um die Grüntöne zu entdecken, bedurfte ich der Gartenpraxis, die in ihrer Rubrik »Aufgelesen« zwei, drei Texte abgedruckt hatte. Resultat der Lektüre: ungläubiges Staunen und atemlose Begeisterung! Dieser Witz! Diese Sprachbeherrschung! Und diese ganz eindeutige Seelenverwandtschaft über so viele Kilometer hinweg! Solche Perlen der Gartenliteratur waren mir also bislang entgangen. Unverzeihlich! Das musste sich ändern. Unverzüglich wurde der Blog aufgesucht; mit allen seinen bis dahin erschienenen Folgen.
Nun liegen meine Wurzeln in einer Zeit des haptischen Wahrnehmens und taktilen Erfahrens, mit anderen Worten: Lesen als Bildschirm-Wischi-Waschi – das geht nun gar nicht! Das Ausdrucken aller Texte kostete dann ungefähr ein Paket an Printerpapier. Die Kinder quittierten diese Aktion erwartungsgemäß mit Augenrollen und höflichem Schweigen. Muttern verzog sich daraufhin aber genüsslich mit einem 5 cm dicken Stapel Papier zur Lektüre aufs Sofa, delegierte die Zubereitung des Abendessens an Unbekannt und wünschte fürs Erste nicht mehr gestört zu werden.

Ja – so hat’s angefangen. Und hat seitdem nicht mehr aufgehört. Immer wieder verblüfft mich, wie ähnlich man sich doch sein kann im Denken und Handeln! Ein Lacher – das mit der vorgeblichen eigenen Einzigartigkeit!

Aber dass wir »ga-ga« wären, dagegen muss ich mich an dieser Stelle heftig verwehren. Es sei denn, dies wäre eine Abkürzung für »GAnz-GArten« oder dergleichen. Denn wenn wir gärtnernde Wesen eines nicht sind, dann plemplem. Der Garten ist das WESENtliche. Es ist wohl auch der einzige Ort, an dem man sich nach eigenem Gusto so ganz uneingeschränkt verwesentlichen kann. Was jetzt ein ganz furchtbar klingender Satz ist, der demzufolge ersatzlos zu streichen ist.
Wobei es ja leider auch vielen nicht vergönnt ist, ihre grünen Gelüste frei und unbeschwert auszuleben. Nicht jeder kann sich, so wie ich, der Tatsache erfreuen, dass die lieben Nachbarn auf ausreichendem Abstand wohnen, so dass sie nicht möglicherweise auf die Idee kommen könnten, herüberhängende Äste oder fallendes Herbstlaub anders als malerisch oder spielerisch zu erfahren. Hier in den Niederlanden gibt es ein überaus populäres Fernsehprogramm, »De rijdende rechter« (Der fahrende Richter), in welchem ein echter Richter bei Nachbarschaftsstreitigkeiten vor Ort ein verbindliches Urteil fällt. Und in nahezu allen Fällen ist der Auslöser des beinahe Mord- und Totschlags, mit dem sich die Leute im Fernsehen entblößen, pflanzlicher Natur. Zumindest vordergründig.

Und auch die Behauptung, dass ich mich einer gewissen Zügellosigkeit schuldig mache, kann ich so nicht uneingeschränkt gelten lassen. »Wenn ich wieder auf die Welt komme, werde ich wieder Gärtner. Und das nächste Mal auch noch. Denn für ein einziges Leben ward dieser Beruf zu groß.« Wenn man, wie offenbar Karl Foerster, an eine Wiedergeburt glaubt, hat man’s vergleichsweise leicht. Wenn man nicht daran glaubt, muss man sich in diesem einen Leben eben ein wenig sputen, will man zumindest ansatzweise einen Teil des pflanzlichen Reichtums mit eigenen Augen und Händen erleben. Zugegeben: Mit den Jahren und zunehmender Erfahrung kann eine gewisse Mäßigung möglich werden. Nicht alles passt dann mehr ins Beuteschema. Manche Gewächse lassen einen auch kalt, und man ist froh, dass sie bei anderen stehen und nicht im eigenen Garten. Aber möglicherweise tut man diesen Pflanzen auch nur Unrecht, hat man sie bislang nur zu oberflächlich und in falscher Gesellschaft betrachtet …

Was uns zu der entscheidenden Frage bringt: Was ist schön und was ist gut? Auf was sollte man sich beschränken? Ich hege eine fassungslose Bewunderung für Leute, die so eins, zwei, drei, ohne mit der Wimper zu zucken, eine Auswahl treffen können. Genauso hege ich den Verdacht, dass diese Leute ganz offensichtlich über eine nur sehr beschränkte Kenntnis des möglichen Sortiments verfügen müssen. Mir hingegen ist es unmöglich zu sagen, ob nun Sorte A am schönsten sei oder B oder vielleicht nicht doch XYZ. Und welche nun den größten persönlichen Gartenwert habe. Da hilft wirklich nur Eines: ausprobieren!

Im vergangenen Sommer hatten meine Agapanthus üppig geblüht und anschließend Samen angesetzt. Von den schönsten Sorten wurde geerntet, weil man schließlich nichts verkommen lassen kann. Mehr so nebenbei hatte ich anschließend großzügigst ausgesät, ohne mir in meiner Ahnungslosigkeit viel davon zu versprechen. Was im Nachhinein unvorsichtig gewesen ist, denn die Samen gingen auf wie »haar op een hond« und wuchsen zügig zu katzengrasähnlicher Dichte heran. Ein Pikieren war letztlich dringend geboten.
Manlief ließ sich nach einem kurzen Seitenblick auf dieses Treiben – welches im Übrigen raumgreifend in der Küche stattfinden musste, weil’s mir Mitte Februar dafür im Glashaus einfach noch zu schattig war – in gewohnt aufmunternder Weise die Frage entfallen, ob ich angesichts meiner bereits bestehenden Agapanthus-Sammlung nicht schon mehr als Fifty-Shades-of-Blue und damit möglicherweise genug hätte.
Nun ist – oder sollte zumindest sein – neben der Geduld und dem Hoffen-Können eine weitere, den Gärtner auszeichnende Tugend, die Neugierde. Denn auch wenn unwahrscheinlich, so ist es doch keineswegs ausgeschlossen, dass sich unter all den Sämlingen nicht diese eine fantastisch-neue Blütenfarbe oder Form befinden könnte. Dieses gilt es darum unbedingt herauszufinden. Auch wenn man dafür geduldig drei, vier Jahre warten muss, bis sich die Pflänzchen denn bequemen, das erste Mal zu blühen. Darum schob ich die Bedenken meines nüchternen Holländers leichthin zur Seite und topfte frohgemut weiter. Ich stellte dabei erstaunt fest, dass die Keimpflänzchen trotz gleicher Startbedingungen keineswegs auch gleich waren: Einige hatten energisch fleischige Würzelchen in die Tiefe getrieben oder sogar selbstbewusst versucht, mit einer Ausbreitung nach links und rechts unterirdisch Terrain zu erobern. Andere Keimlinge dagegen trauten sich kaum aus ihrem Samenkorn heraus und erkundeten die neue Umgebung nur sehr zögerlich.
Während ich die Kleinen so nach und nach aus ihrem Saatbett in Töpfchen übersiedelte, sinnierte ich darüber, ob die äußere Erscheinung dieser Hälmchen wohl mögliche Schlüsse auf ihre noch unsichtbaren inneren Werte zuließe und ob dies zu irgendeinem Urteil berechtige. Wohl eher nicht, denke ich. Wie im richtigen Leben eben auch. Wobei ich am Rande bemerken will, dass Gärtnern ja nichts anderes ist als angewandte Philosophie. Denn worum geht es hier wie dort? Um die fundamentalen Fragen zum Werden und Vergehen!

Nach zwei Stunden begannen sich in dieser überaus meditativen Beschäftigung die ersten Risse zu zeigen, als ich kurz überschlug, wie viele Pötte inzwischen einer zukünftigen Aufzucht harrten, während sich die Saatkiste scheinbar nur unwesentlich geleert hatte. Es regten sich nun doch Zweifel zum Sinn und Unsinn dieses Tuns und darwinistische Gedanken begannen schließlich, sich meiner zu bemächtigen, will heißen, der ursprüngliche hehre Vorsatz einer Chancengleichheit für die Nachkommenschaft wurde ad acta gelegt und nur noch die dicksten Exemplare pikiert und die sprietigen ungeachtet ihrer möglicherweise im Verborgen schlummernden Vorzüge dem Schicksal überlassen und zu guter Letzt – zu meiner Entlastung sei gesagt: mit heftig schlechtem Gewissen – dem Komposthaufen übereignet.
Immerhin haben magere Jungpflanzen die Vorrunde überstanden und hoffen jetzt auf eine langfristige pflegliche Zuwendung, was bedeutet, dass die Gärtnerin zukünftig irgendwie noch Zeit für sie finden muss.
Kürzlich erhielt ich einen Brief von einem Pflanzenfreund aus Hamburg. Der Inhalt: Samen seiner eigenen, besonderen Agapanthus
Moral der Geschichte: Man kann wirklich nur bedingt verantwortlich gemacht werden für die eigene Zügellosigkeit!

Soeben komme ich zurück von einer Inspektionsrunde durch den erstmals frühlingshaften Garten: Augenscheinlich haben meine diversen Helleborus tausendfach gejungt! Diese vielverspechenden Keimpflänzchen müsste man jetzt ganz dringend unter den Mutterpflanzen hervorholen, einzeln auftopfen und zu atemberaubenden Schönheiten heranziehen … Fragt sich nur, wann man das machen soll und wohin dann mit dem ganzen Reichtum!
Wer keine Arbeit hat, der macht sich welche. Ach, der Garten – eine beständig sprudelnde Quelle ungeahnter Probleme. Was tun wir uns eigentlich an? Und das auch noch freiwillig.

Wie treffend und beruhigend ist da doch der Satz, den ich kürzlich gelesen habe: »Aber wer jammert, hat noch Reserven.«
In diesem Sinne: Frohgemut und jubilierend auf ins neue Gartenjahr, welches uns zweifellos wiederum erbauliches Grün in den verschiedensten Tönen bescheren wird!

Zum Beitragsbild: Und so sieht das Ganze vier Jahre später aus. »Sammelwut« von und mit der maßvollen Zügellosen selber.

8 Kommentare

  1. Nach der Lektüre muss ich doch eben ergänzen, dass es “immerhin 250 magere Jungpflanzen” waren, die die Auftopf-Aktion überstanden haben…
    Demnächst in gute Hände abzugeben?

  2. Liebe Nick, liebe Birgit,

    Vielen herzlichen Dank für diese wunderbare Geschichte und alles, alles Liebe zum Geburtstag – auf ein weiteres grüngetöntes Jahr!

    Marlis

  3. Ein geburtstagsgebührender Text, danke!
    Ein bisschen irritiert hat mich, dass die Holländer scheinbar auch schlimmere Gartenstreitigkeiten kennen. In meiner Vorstellung ziehen die nie die Vorhänge zu und lassen die Gartenpforte immer offen, was dann wohl ein positives Vorurteil ist. Ich war noch nie in Holland.;)

    1. Das mit den nicht zugezogenen Vorhängen stimmt zwar immer noch weithin (und stammt aus der streng calvinistischen Zeit: nur wer etwas zu verbergen hatte, zog die Gardinen zu…), doch dass die Niederländer so ein überaus tolerantes Völkchen wären, ist ein Vorurteil, dass sie selber gerne kultivieren. Was sich nach Außen hin vermeintlich als Toleranz zeigt, ist in Wahrheit ein Desinteresse am Anderen. Die zum Beispiel südafrikanische Apartheid ist eine holländische Erfindung, man lebt nebeneinander her, aber nicht wirklich zusammen. Wenn der Nachbar anfängt. auf die Nerven zu gehen, kann der Niederländer – wie alle anderen auch – ziemlich fuchtig werden.

  4. Liebe Birgit,
    der Text passt: heute habe ich die letzten Chilis umgepflanzt (gefühlt 30) und in 49 Saatlöchlein Tomatensamen versenkt. Es könnte ja sein, dass die Chilis aus Versehen vertrocknen (einige davon) oder die Tomaten nicht keimen. Und im Gewächshaus und vor dem Gewächshaus und neben dem Gewächshaus stehen jede Menge Töpfe mit Liliensämlingen (die könnten doch mal blühen, die blöden Dinger, damit ich entscheiden kann, welche ich behalten will), Phloxsämlinge und anderes Zeugs. Es ist Teil des Frühjahrssyndroms. Der zweite Teil ist dann der jedes Jahr wieder gebrochene Schwur, es nächstes Jahr besser, nämlich nur ganz eingeschränkt, zu machen!
    Liebe Nick,
    herzlichen Glückwunsch und ein großes Dankeschön zu vier Jahren Grüntönen.

    1. Ja, trotz der mit den Jahren gewonnenen Erfahrung gehen der galloppierende Optimismus und Tatendrang in jedem Frühling zuverlässig auf’s Neue mit einem durch. Tröstlich immerhin, dass man mit diesem Verhalten so keineswegs alleine ist!

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