Zublühen

zu|blü|hen (ugs.); der Vorgang eines aktiv blühenden Wesens (i.d.R. Pflanze), welches durch dieses Tun ein wahrnehmendes Objekt in einen entfernt paralyse-ähnlichen, meist sprachlosen und leicht psychedelischen Zustand zu versetzen in der Lage ist. Nicht zu verwechseln mit dem ebenfalls ugs. verwendeten Verb g zu|tex|ten.

Gerade ist es wieder passiert. Nachdem ich fertig gemäht hatte … wenn wir schon bei Wörtern sind: Ich schaffe es mit aller mir zu Gebote stehenden Mühe nicht, die beiden Verben „mähen“ und „staubsaugen“ nicht zu verwechseln, und zwar immer dann, wenn ich sie gedankenlos von mir gebe. „Ich mähe mal eben schnell das Wohnzimmer“ oder „Wie soll ich bei diesem Regen staubsaugen?“ sind Beispiele für gängige Sätze, die man in meiner Gegenwart oft hört, da ich beides regelmäßig zu tun genötigt bin. Anfangs fand ich es ja lustig, darum strengte ich mich auch nicht groß an, da mal geistige Hand anzulegen – immerhin wurde jedes Mal herzhaft dabei gelacht, auch von mir. Inzwischen sind schon einige Jahre vergangen und damit auch das letzte bisschen Amüsement. Noch schlimmer, es ist mir sogar schon peinlich. Hilft alles nichts. Selbst heute, ganz allein, in Gedanken und Selbstgesprächen versunken, hievte ich den Rasenmäher aus dem Gartenhaus, warf ihn an und dachte: „Dieses Staubsaugen soll ja anscheinend entspannend sein. Da puste ich aber so was von auf den Kuchen!“ Ich frage mich echt, wann sich dieser sprachliche Defekt endlich mal einrenkt. Habt ihr das auch? Solch hartnäckige Wortverwechslungen, oder bin ich da allein auf weiter Flur?

Also. Ich hatte fertig gemäht. Uff. Und es war wirklich ein Uff, nicht nur wegen des richtigen Verbs. Unter der – endlich verblühten – Wisteria saß ich im dankbaren Schatten und ließ den Blick schweifen. Zuerst, wie es sich gehört, über das frisch gemähte Grün (hat durchaus was von einem frisch gesaugten Teppich, wenn ich das überflüssigerweise anmerken darf) mit der dazugehörenden wohligstolzen Freude. Eine ebene glattrasierte Fläche tut sich vor einem auf, bei der niemand ahnen würde, wie bucklig sie in Wahrheit untendrunter beschaffen ist, abgesehen von der Maschine und der Person, die sie bedient. Herrlich. (Nicht, dass jetzt jemand achtmalklug daher kommt: Rasenmähen ist genauso entspannend wie jäten, Stauden binden oder pikieren. Im Nachhinein ist alles supi.) Selbstzufrieden und ziellos rutschte der Blick von den silbrig schimmernden Grashalmkanten ab und blieb kleben.

An einer Astrantia. Da dieses Exemplar in einem meiner Hochbeete wächst, war sie beinahe auf Augenhöhe. Die ideale Voraussetzung für ein Zublühen der klassischen Art.

Wie eine Trauermücke vor Gelbtafel starrte ich gebannt auf dieses kleine Blütenwerk. Gedanken schossen durch meinen Kopf, tief philosophische, honigsüß tropfend poetische und beide kulminierten in einem präpubertierenden: „Boah. Menno!“ (Es gibt keine anständige Sprache mehr in solch einem Moment. All die Dichter, die sich metrisch korrekt und höchst kunstvoll der Flora widmeten, taten das im Nachhinein. Hundertpro. So pro wie die Entspannung beim Rasenmähen.) Scheinbar ungerührt stand sie weiterhin da, aber sie lockte, lockte. Halb zog sie mich, halb sank ich hin, bis ich unartgemäß leicht verbogen vor ihr stand, die erweiterte Pupille dicht vor ihrem Bauchnabel. Diese Perfektion!

Danach versagten mir jegliche Worte. Ich bestand nur noch aus Gucken. Nun fragen sich alle, die bisher noch nie zugeblüht worden sind – wovon ich bei keinem menschlichen Exemplar ausgehe, aber egal -, ob Nick eventuell da zum erstem Mal im Leben eine Sterndoldenblüte erspähte. Nö. Das ist es ja eben. Auch ein Löwenzahn kann mich in der übernächsten Sekunde genauso zublühen und mit dem habe ich mich nun wirklich regelmäßig und schon als Kind beschäftigt, ihn minutiös seziert, Kopfschmuck oder liebevoll gerupfte Sträuße für Muttern gebastelt, den Milchsaft kunstvoll an den Hosen verewigt, gejätet, Sirup draus gemacht … Fesselnd faszinieren kann mich alles, selbst ein blütenloser Blattaustrieb (das habe ich aber bewusst ausgespart. Zu|blat|ten hat nicht so den richtigen Sound.).

Dass das Zublühen seinen Weg in meinen imaginären Duden gefunden hatte, liegt auch daran, dass es nicht nur einsinnig ist. Wenn ich durch den Garten gehe, sagen wir mal: Gehetzt. Es ist Morgen, ich habe bloße fünf Minuten, um schnell die Velociraptoren rauszulassen, ihnen was Gutes hinzustellen und Wasser aufzufüllen. Da umweht mich justament ein Duft der anderen Art. Ungeachtet der Tatsache, dass ich gehetzt bin und jetzt wirklich, wirklich muss, treibt mich ein innerer Drang, dem Duftwunder auf den Grund zu gehen. (Nein, es ist nicht das Kotbrett.) Schnuppernd geh ich meinen Weg zurück und lande bei der „Rhapsody in Blue“. Gerade jetzt betört sie gelbtafelartig jeden, der sich in ihrem Dunstkreis befindet. Und da müssen die Pupillen weder geweitet noch sichtbar sein, mit geschlossenen Augen steh ich neben meiner Lieblingsrose und bin nur noch Nase.

Dem nicht genug. Ich kann auch sommergrippig naselaufend daherkommen, mit geschwollenen Augen und einer Lustlosigkeit sondergleichen, das beiläufige Händerüberstreichenlassen bei einem Wollziest oder einem Eibisch versöhnt mich mit jeglichem Ungemach. (Zugegeben. Jetzt sind wir wieder beim zu|blat|ten. Bitte vergesst, dass ihr diesen Abschnitt gelesen habt. Danke.)

Dieses Zublühen bewirkt einiges. Nicht nur zolle ich der einzelnen Pflanze – so klein und unscheinbar sie auch sein und scheinen mag – den Respekt, den sie verdient, für einmal wird auch nicht gewertet. Bei einer Ackerwindenblüte ziehen sich mal nicht unwillkürlich alle Herzkranzgefäße bedrohlich zusammen, nein, es öffnet sich, das Herz, und labt sich an der Freude. Und das ganze ewige Mosern über missglückte Beetgestaltungen ist verflogen, in diesem einen Moment, in dem eine sich zu Tausenden versamte, „gähn“, hundsnormale Nigella mich genauso in den Bann zieht wie ehedem, als ich in Großmutters Garten Schmetterlingen nachgetanzt, über Essigbaumwurzeln stolpernd und am Rosmarienbaum vorbeistreichschnuppernd plötzlich innehielt: „Das ist eine Jungfer im Grünen,“ erklärte mir meine Oma, als ich zu ihr rannte und sie fragedeutend anging. „Jungfer“ verstand ich nicht. Aber die Perfektion.

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