Beruhigungsflächen

Als wir hier einzogen, gab es noch etwas mehr Rasen. Das fand ich auch echt toll. Die Hunde durften rumtoben, wir konnten uns auf den Greens auf den Rücken werfen, den vorbeiziehenden Wolken oder runterfallenden Sternen zublinzeln und den sattdunkelgrünen Teppichflor streicheln. Die Hunde taten es tatsächlich, aber auch anderes. Mit ein Grund, warum wir uns vornehmlich vertikal auf den Rasenteilen aufhielten. Die anderen zwei – Gründe – liegen auf der Hand: Wer einen Garten begärtnert, liegt halt selten mittendrin und wenn, dann höchstens eine Viertelsekunde („Ui. Warum hat mir niemand gesagt, dass unter der Kletterhortensie ein Brennesselhorst heranzuwachsen gedenkt?“). Außerdem hatten wir Liegestühle. Ja, nur einen, aber dafür sonst Stühle. Und ein Schlafzimmer. Da waren mir auch die Sterne schnell mal schnuppe.

Und dann käme das mit dem Sattdunkelgrün. Nun ja. Dankbar und liebevoll wie Haustiere nun mal sind, übernahmen meine Hunde die gesamte Rasenpflege. Sie vertikutierten, gruben in tiefsten Tiefen Rasenunkraut aus (auch dort, wo keines wuchs) und … Ich nehme an dieser Stelle schweigende Rücksicht auf gewisse empfindliche Feinnaturen und diszipliniert-konsequente Kynologen, möchte beiden aber unter die rümpfende Nase halten, dass die Vorteile überwiegen (sofern man den soliden Dünger vorzu entfernt). In weitere Details gehe ich – altruistisch, wie ich nun mal bin – nicht weiter ein. Versprochen. Auch wenn ich wollen täte. Kurz: Er ist sattdunkelgrün zuzüglich einiger panachierter, landschaftsbildender und biodiverser (ja, da wächst nicht nur Gras) Effekte.

Da wir an zig Stellen Grüns hatten, auch an solchen, die jeglichem gesunden Menschenverstand oder der Manövrierfähigkeit meines Mähers widersprachen, lag die Versuchung nahe. Weg mit dem Elend, da soll es fortan blühen, kräuteln oder gemüsen. Bis es – keine Ahnung, wie’s kam – dem Nichtgärtner irgendwann reichte. Als ich ein neues „Ich hebe ein Stück Rasen auf, damit XY“ brachte, meinte er verhärmt: „Na. Na.“ Ich brachte Argumente ins Feld, malte mein neues Projekt in Regenbogenfarben, schwärmte von X und Y, das Antlitz blieb versteinert, mit einem eingemeißelten „Ja, aber“ drin. Und dann kam’s: „Ja, aber … dann hast du weniger zum Mulchen.“ Da hatte er mich. Stimmt. Saublöd.

Ich mulche so exzessiv mit Rasenschnitt, dass ich dereinst sogar die Nachbarin anbettelte, als ich sie rasenmähend erwischt hatte:
„Hast du den Rasen mit irgendwelchen Pestiziden behandelt?“
Sie, verständnislos den Auffangkorb in der Hand: „Hä? Da wären mir sowohl Kohle und Zeit dafür zu schade. Warum fragst du?“
Erleichterte Erklärung: „Weil ich deinen Rasenschnitt gerne hätte. Oder brauchst du ihn selber?“
Noch verständnisloser: „Hä? Brauchen? Nee! Und du willst den??“ (gackerndes Gelächter)
Ich liebe diese meine Nachbarin. Nicht nur wegen des Rasenschnitts.

Aber legen wir die Karten auf den Tisch. Mulchen mit Rasenschnitt ist anstrengend. Noch anstrengender als Mähen. Noch anstrengender als die Mähvorbereitung beim Velociraptoren-Teil: Flexizaun raus, Flexizaun rein, Verheddern, Fluchen, Verheddern, Hinschmeißen, Verheddern, Draufrumtrampeln. Und wenn du endlich im Flow wärst, deine Strecke hin und zurück, hin und Peng! Kopfkirsche und zurück Tzoinggg-Ohr-Feige und wieder hin machen willst, spotzt und stottert das Teil. Auf zum Mulchen! Juchee.
(Das war jetzt so nicht beabsichtigt. Eigentlich wollte ich eine Lobeshymne auf den Rasenschnittmulch trillieren. Immerhin das Totschlägerargument meines Nichtgärtners.)

Das Obertotschlägerargument brachte die beste Schwiegermutter der Welt, nämlich meine: „Weißt du, so eine gemähte Wiese (schon allein diese Wortwahl lässt erkennen, warum ich sie liebe) dient auch als Rahmen. Stell dir vor, du hast da überall nur Beete. Das wirkt doch nicht mehr. Dazwischen braucht es auch etwas Beruhigendes für’s Auge.“ Da traf sie ins Schwarze. Ich mag jetzt nicht lange rumerklären, wie die Gegebenheiten hier sind, aber es ist so. Punkt.

Beim letzten Mähen dachte ich zum wiederholten Male drüber nach, nur ein bisschen, ein ganz kleines bisschen, gut, vielleicht ein bisschen mehr und eventuell doch etwas mehr davon aufzuheben. Mir vorschweben täten eine Beeterweiterung (keine Rasenkanten mehr stechen, kein Gejohle, weil die Velociraptoren des ganze Mulchgedöns ins Grün fliegen lassen, meeeeehr Platz … gier), ein vollkommen neues Beet (nur für visuellen Augenschmaus, nur Nicht-Essbares, kreisch) und einen Kartoffelacker im Hühnerauslauf mit dem Zusatz: „Da wächst eh nur Unkraut. Danach kann ich doch locker wieder Rasen ansäen, wenn ich’s denn will.“). So weit zu meinen derzeitigen Hirnplänen. Dem Nichtgärtner habe ich alle unterbreitet und er meinte: „Hm.“ Vermutlich befand er das „Na. Na.“ für überflüssig, weil ich ihm danebst meine anderen vier Großprojekte vorgestellt hatte, die nix mit Rasenaufheben zu tun haben. Und weil er weiß, dass ich in nächster Zeit eh keine Zeit habe.

Rasen. Gemähte Wiese, was auch immer. Dieser grüne Teppich hat’s in sich. Er beruhigt die Augen. Anscheinend auch die Mähenden. Aber das Beruhigendste an ihm ist: „Hach. Ich hab noch potenzielle Pflanzfläche.“ Und in diesem Moment kommt mir mein Großvater in den Sinn, der einen Grashalm im Mund hatte und selbstvergessen sonntäglich spazierend drauf rumkaute.