Metamorphose

Ich bin ein Gewohnheitstier und schätze es durchaus, dass mein Nichtgärtner beim morgendlichen Erwachen immer noch so aussieht wie gestern Abend. Oder fast so, jedenfalls so, dass ich auf Anhieb wiedererkennbare Merkmale festmachen kann. Und wenn wir schon beim Morgen sind: Da hat auch gar niemand an meinen Ritualen zu rütteln, die zeitlich so durchgetaktet sind, dass einem Außen- und vor allem Dazwischenstehenden Angst und Bange werden könnte. Wehe dem Geschöpf, das mir beim effizienten Doppel-Griff „Einschalttaste Laptop/Kaffeemaschine“ mit irgend einer Äußerung oder seiner bloßen Masse in die Quere kommt, ertragen wird nur ein etwaiges hündisches Freuhecheln, weil drei Sekunden (und keine früher oder später) danach die Näpfe gefüllt werden. Kurz: Gewohnheit ist gut. Sie garantiert, dass man nicht nur rechtzeitig, sondern auch gut gelaunt auf Arbeit erscheint.
Nichts Schöneres als ewiggleiche Automatismen. Sie bieten Raum für ganz kreative oder aber wohlfühlzonig komatöse Zustände. Zum fünfzigtausendsten Mal fährst du dieselbe Strecke und kannst einfach sein, saain, gääähnen, vielleicht der Radiostimme lauschen, wie immer kurz nach der Wetterprognose merken, dass du abgeschweift bist, oder denken an – Kompostgroupie, der du nun mal bist – die ultimative logistische Lösung für die zig Rasensoden, die irgendwohin müssen, weil alle drei Brüder schon proppevoll sind.

Ganz anders ergeht es mir in meiner Wohlstfühlzone. Ich habe das schon im Herbst erkannt, aber da drängten sich andere Themen dazwischen, die unbedingt niedergeschrieben werden wollten. Heute übermannte es mich wieder und zupfte beharrlich an meinem Fleecejackenärmel. Es sei.

Ich guckte mir mein eines linkes Beet an und entzückte. Es war, als wär ich morgens erwacht und hätte statt des Nichtgärtners Antlitz … falscher Vergleich. Es war, als wär ich morgens erwacht und hätte im Spiegel statt graufaltiger (braunstängliger) Einöde ein jugendliches (orangekrokantes) Feuerwerk erblickt. Nicht, dass ich auf Orange stünde, aber es war eine sehr gute Idee gewesen, das vom Vorgärtner ererbte Krokusgewulst zu vereinzeln. Zwischen den weißen Galanthüssern wirkten die Fünfergrüppchen wie sonnengereifte Kumquats. Anfang März erquickt so was Auge und Herz.Ich setzte mich auf die oberste Waschbetonstufe, warf ein Auge aufs Beet, legte mein Kinn in die Hand und hing meinen Gedanken nach: Das wär ja mal was. Morgens in den Spiegel gucken und ein Beet sehen. Wäre immerhin ein Aufwecker der anderen Art. (Falls ihr mir jetzt nicht folgen könnt: Macht euch keine Gedanken. Mir fällt es bisweilen auch schwer.)

Es ist ein spezielles, dieses linke bzw. von der Stufe aus gesehen rechte Beet, weil schleichend langsam. Fast alle Schauspieler darin lassen sich divenhaft viel Zeit, bis sie endlich die Gnade haben, huldvoll auf der Bühne zu erscheinen. Am allerspätesten tritt die Eupatorium-rugosum-„Chocolate“-Hecke auf (und ich nenn die auch in vierzig Jahren noch Eupatorium, egal, was etwaige Botaniker dazu sagen). Ich bin mir zwar dessen bewusst, dass sie vorhanden ist, immerhin existiert sie schon ein langes Weilchen, und trotzdem verblüfft es mich Jahr für Jahr aufs Neue, wie sehr sie das gesamte Beet zu verändern vermag. Aus den zögerlich wachsenden dunkellaubigen Büscheln wird eine riesige schwarze Rahmenhorizonzale, die allem Blau-Weißem, was vor bzw. unter ihr wächst den Auftritt des Lebens beschert. Und mir einen offenen Mund, denn die Verwandlung hat es in sich.

Irgendwann hat sich auch das staunendste Auge gewöhnt und die Schneebällchenblüten nimmt man im Herbst – leicht fröstelnd – gelassen, wenn auch durchaus dankbar entgegen. Es geht an den Schnitt, man erledigt ihn maulend. Im Herbst mag man nicht mehr so arg und jetzt runterschneiden ist eh bäh, aber manchmal muss man, also tut man’s eben. Nach getaner Arbeit belohnt man sich mit legalen Suchtmitteln, schaut sich die Sache an und entzückt: „Hammer!“ Das Beet kommt daher, als hätte man ein komplett neues, plötzlich ganz groß und weit und man kann nicht anders, verbeugt sich und sagt: „Hallo. Ich bin Nick. Wer bist du?“ Und so in etwa erging es mir kürzlich aufgrund der Kumquats.

Die Schokoladenhecke kriegte nun die ganze Aufmerksamkeit, was ein bisschen fies ist. Die anderen Akteure sind nicht weniger wichtig, auch sie metamorphisieren kräftig. Aber es pickt kein Velociraptor weg: Ohne den Rahmenstar wären sie bloße Hupfdohlen. Ich darf darum an dieser Stelle nachdoppeln und weiter schwärmen. Das Teil lässt sich nicht nur problemlos teilen, nein, man kann auch Stecklinge ins Wasserglas werfen und sie wurzeln wie verrückt vor sich hin. Schnecken meiden den schwarzen Wasserdost, Geflügel und Hunde ebenso. Kater besprühpinkeln ihn nicht, Rehe hatte ich noch keine im Garten, dafür aber Veganer. Die fielen – wenigstens bislang – auch nicht drüber her.

Ob ich mir schon umgestalterische Gedanken gemacht hatte, weil die wichtigsten Hupfdohlen erst ab Juni deutlich mehr als ein nackiges Füßchen zeigen? Ja, hab ich, jeden geschlagenen Frühling. Aber ich sag euch was: Damit hat es nun ein Ende. Ich wär ja schön blöd, tät ich mich der viermaligen Kompletterneuerung und meines Entzückens darob berauben. Umso blöder, weil es das meinste Beet überhaupt ist. Einerseits ist es ein gewachsenes und schlägt darum zig Brücken von damals bis heute, andererseits fallen die vierfachen Entwicklungsstadien fast ganz genau auf punktuelle Stimmungstiefs meinerseits. Sei’s die Vorfrühlingsdepro, die Vorsommerermattung, das Sommerloch oder der Endherbstüberdruss, jedesmal hebt mich dieses eine Beet pünktlich wieder empor zu unverhofften Motivationshüpfern.

Ich sitze übrigens wieder auf der Treppe und denke mit aufgestütztem Kinn. Inzwischen sind die Iris reticulata aufgegangen, wir haben nun Kumquats mit Sahne am Meer. An einem löchrigen Meer, muss ich zugeben, man kann es schönreden, wie man will, es wächst nicht mal ein Drittel von dem, was ich gesetzt hatte. Egal. Tiefblau und getigert blass (ich sag nur: Wellenschaum) sind sie trotzdem. Von den Salvien, Veronicas und Eupatorien ist noch gar nix zu sehen, noch lange nicht. Foersters Durchblühen streift gedanklich an mir vorbei, ich lasse es ziehen und stochere im verwelkten Laub um die ebenfalls schneckig langsamen Kissenastern, ein Velociraptor rennt herbei, tut es mir gleich und ergattert neun Nanoschnecken (ja, ich habe mitgezählt). Tja. Aus meinem einen Problembeet ist urplötzlich ein Liebling geworden. Mit all seinen Fehlern. Will heißen, gerade wegen seiner Fehler; schließlich und endlich ist es das Nick-Beet.

Ich stehe auf, drücke ungelenk mein knarzendes Kreuz durch – die vergangene Gartenwoche sitzt in allen Muskeln, Sehnen und Knochen oberhalb der Hüfte –bespaziere den restlichen Garten und bin hochgestimmt. Es ist alles nur eine Frage der Perspektive. Aus hin und her gewälztem Ärger wird urpersönliches Glück. Sowie ein Zeitgewinn in doppelter Hinsicht: Keine weitere Stunde muss ich brütend verbringen, um zu optimieren, was nicht optimiert werden will, und jede langsam schleichende Beetwoche kann ich nun dankbar begrüßen. Es muss nicht alles sofort, es soll vor allen Dingen nicht. Wartende Langeweile hat durchaus ihren Reiz. Es schweift der Blick über das leere Hostabeet, über den geometrischen Garten, kriege gerade mit, wie er sich augenblinzelnd anders besinnt und in seinem Bett auf die andere Seite dreht (von hier oben kann man die herausspitzenden Frühlingsblüher nicht mal erahnen), und studiere den Küchenhang. Au Backe. Ist ja oberübelst. Schlimm! Und so was hast du all die Jahre hinweg ertragen können?
Und just in diesem Moment ist ein neuer Problembereich geboren. Das gibt dann doch zu denken.

Hinterlasse einen Kommentar.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert