Lieblings-Schädlinge

Egal, was ich mir in den Garten hole, der dazu gehörende Nebenbuhler braucht im langsamsten Falle eine Woche, um den Braten zu riechen. (Außer der Buchsbaumzünsler. Aber der hat seine Gründe. Was will man großartig rumzünseln, wenn sich bereits der Buchspilz Laufmeter um Laufmeter durch die Hecken frisst? Macht ja keinen Spaß.)

Nachdem ich mich drei Jahre lang gewundert, die Faust gen Himmel und Erde gereckt und mich gefragt hatte, womit ich das eigentlich verdienen würde, gewöhnte ich mich allmählich an den Gedanken, dass auch im Garten auf jeden metaphorischen Topf ein ebensolcher Deckel passt. Ich freundete mich gar damit an, bereichern sie doch meine eigene Topf-und-Deckel-Situation um unzählige, gemeinsame Kichereien.
„Warum gibst du den Hunden so viele davon zu fressen?“, fragte Nichtgärtner, indes ich hochkonzentriert mit Erbsenpulen beschäftigt war. „Sin befalln“, murmelte ich vor mich hin, öffnete eine Schote, schaute angewidert in deren Eingeweide, warf sie in den nächst gelegenen hündischen Rachen, griff nach der nächsten und öffnete – sehr gut, alle intakt. „Unglaublich. Dass es für jede Pflanze so einen Schädling gibt! Was für einer isses denn diesmal? Der Abwärtssteigende Erbsenkreuzundquerfresser?“
Die Vierbeiner freuten sich über unser ausgelassenes Gelächter und jagten die lustig auf den Boden runterfallenden Kugelerbsen.

Andere vergnügen sich mit Gesellschaftsspielen, Nichtgärtner hat den Narren dran gefressen, Schädlings-Namen zu erraten und mich damit aufs Ergötzlichste zu unterhalten.
Dies fand seinen Anfang mit und in einer Rose.

Und zwar mit einer meiner drei Rhapsody in Blues. Sie schob immer wieder Triebe, um sie genauso immer wieder verdorren zu lassen, und dies im Juni. Ich wurde nervös und begab mich ohne unnötiges Zaudern auf den Weg zu einem Experten. Als ich ihm einen meiner Rosentriebe vor das Gesicht hielt, röteten sich seine Wangen vor Bestimmungslust: „Der ist mir ja schon ewig nicht mehr untergekommen! Sie haben sich hier …“
er pausierte effektvoll und betrachtete den Trieb zwischen Daumen und Zeigefinger wie einen 24-Karäter,
„… den Aufwärtssteigenden Rosentriebbohrer eingehandelt. Herrlich! Den gibt es hier im Kanton eigentlich gar nicht!“ Ich freute mich ungemein.
Der Rotwangige sah mir strahlend ins Gesicht und suchte darin vergeblich nach einem Ausdruck des Entzückens. Verschwörerisch neigte er sich mir entgegen: „Nun, es gäbe noch den Abwärtssteigenden. Der wäre wirklich eine Pest“, und doppelte mit Nachdruck nach, „da könnten Sie nur noch einpacken.“

Nichtgärtner war entzückt. „Der Aufwärtssteigende Rosentriebbohrer. So was muss einem erst mal in den Sinn kommen. Und abwärtssteigende gibt’s auch noch, ich hau mich weg!“

So sehr sie mir gewisse Freuden meines Lebens vermiesen, so faszinierend finde ich solche Spezialisten. Seien es nun entomologisch geschulte Rotwangige oder die Tierchen selber. Nicht nur, dass sie wie ein ungeliebter Phoenix aus der Asche urplötzlich einfach so da sind und rumkriechflattern, ihre deutschen Namen sind so bildhaft, dass man nicht anders kann, als sich ein Insekt vorzustellen, das statt einer Nase einen rotierenden Bohrkopf vor sich herträgt, Erbsen um den Finger wickelt, mit dicken Mäulern rumrüsselt oder den Kohl weiß bemalt.

Wie derjenige, bei dem ich diesen Sommer persönlich vorgesprochen hatte. Wir kannten uns vom flüchtigen Sehen her, aber es hatte sich bisher keine dringliche Notwendigkeit ergeben, in engeren Kontakt zu treten. Den Wendepunkt brachte der Umstand herbei, dass dieses Jahr nicht nur einige, sondern beinahe sämtliche Feigenblätter verfenstert wurden. Abgesehen davon, dass sie auch in intaktem Zustand als biblische Unterhosen nicht taugen, fand ich die schamlose Durchlöcherung doch zu babylonisch. Forsch ergriff ich ein solches Blatt, pulte mit dem Zeigefingernagel im Gespinst rum, entdeckte ein wurmförmiges Etwas und befragte dann das Inter-Gespinst.
„Wir haben einen neuen Namen. Lass ihn dir in den Ohren zergehen: Feigen…spreiz…flügel…falter.“
Nichtgärtner gluckste vor Wonne.

Wenn dir die Welt in die Suppe spuckt, gibt es kein besseres Allheilmittel als Humor. Die Nebenbuhler werde ich nicht los und wenn doch, dann kommen neue herbei, auf deren Namen nicht mal Nichtgärtner gekommen wäre. Also folge ich getreu dem Motto: Es hat alles seine zwei Seiten und so schlecht kann die Schlechte nicht sein, dass sich nicht doch noch was Gutes draus machen ließe. Und wenn es nur die Namen sind.

Bei den schlimmsten Gartenschädlingen, denen ich bisher begegnet bin, musste ich nicht erst die gute Seite freikratzen. Mit dem vollen Bewusstsein eines erwachsenen, zurechnungsfähigen Wesens hatte ich sie eigenhändig in den Garten gesetzt, sie gar zugefüttert, gepflegt und behelfsmäßig verarztet, wenn Not am Tier war.
Wer mit drei Hunden eine Garten-WG führt, von denen einer ein 45-Kilöner mit dem sonnigen Gemüt eines ungeschickten Tollpatschs ist, und die andere zwar etwas beherrschter, aber nicht viel leichter, dann kommt man gar nicht erst dazu, sich um Dickmaulrüssler oder Kohlweißlinge Sorgen machen zu wollen.

Kaum hatte ich das Teichufer neu bepflanzt, kam die eine auf die glorreiche Idee, sich ein erfrischendes Bad gönnen zu wollen. Das, was beim Reinrutschen nicht entwurzelt wurde, erlitt den Zerfetzungstod beim Rauskraxeln.
Ich ließ die Bepflanzungslücke ganze zwei Jahre. Es wurde nie mehr geplanscht. Ich pflanzte neu und kaputt wurde gerutscht.

Hunde ließen sich ja eigentlich erziehen, doch dafür müsste man erst wissen, wozu oder besser wozu nicht. Irgendwie hatte ich nicht damit gerechnet, dass die Hunde ein Näschen für den monetären Wert von gerade eben gesetzten Sträuchern haben und prinzipientreu nur die teuersten anpinkeln. Oder dass sie ihren Kauknochen im engen Kastentopf voller Stecklinge vergraben müssen, auch wenn sie 400 andere Quadratmeter dafür zur Verfügung gehabt hätten. So idyllisch der Anblick anmutet, aber Vergissmeinnicht-Blüten fressende Hunde? Und dass fünf Liter Brennnesseljauche in einen Hundemagen passen, sagt einem auch niemand.

Der Garten ist gewachsen mit und trotz der Hunde, viel habe ich gelernt, über die Widerstandsfähigkeit von Pflanzen, die Leidensfähigkeit meinerseits und – ganz besonders – das Verzichten. Risikomanagement ist nicht immer vereinbar mit ästhetischen Bedürfnissen.
1,40 m hohe Zäune mitten im Garten sind bäh, egal wie schön sie daherzäunen mögen. Durchflugschneisen zu bepflanzen war schon gedanklich eine Eselei und mal keck ein neues Beet anlegen, wo zuvor jahrelang Wiese war, schlicht unmöglich.

Als die zweite Große gestorben und nur noch der kleine Harmlose übrig geblieben war, raffte ich mich mit dem Gedanken auf: „Es kann nichts so schlecht sein, als dass sich nicht doch was Gutes daran finde ließe“, und befreite mich von den Hundefesseln. Als erstes entfernte ich den Gemüsezaun und holte tief Luft. Der Garten erglänzte augenblicklich in zaunloser Schönheit, Sellerieblätter schmusten mit Rosentrieben, Etagenzwiebeln kuschelten mit Ziersalbei und Erdbeeren leuchteten rot über das darunterliegende Staudenbeet hinweg.
Wenigstens in meiner Vorstellung. Die Erdbeeren waren da nämlich schon längst weg. Eine kurze, rückblickende Erklärung:

Die Hunde kamen nicht durch den Gemüsezaun, meine gerade eben angesiedelten, handlich windschnittigen Velociraptoren aber schon. Ich freute mich sehr darüber, machten sie doch den kleinen Schnecken und sonstigem Getier den Garaus, ließen dabei aber das Gemüse in Ruhe wachsen. Das Gemüse. Nachdem sie mir bei der ersten großen Erdbeerernte zuvorgekommen waren, spannte ich einen potthässlichen Hühnerzaun um den Tatort. Er war nicht nur hässlich, er nützte auch nix und null. Die langhalsigen und flugfähigen Geschöpfe hatten innerhalb einer Woche den Dreh raus und ließen uns nicht eine einzige Frucht übrig (während die Hunde am äußeren Zaun hingen und die Ungerechtigkeit dieser Welt nicht fassen konnten).
Alsdann. Im Herbst darauf siedelte ich alle Erdbeeren in das größte meiner Hochbeete um – der einzige hunde- und geflügelsichere Ort im ganzen Garten.

Rückblick beendet.

Weil ich Trost brauchte, hob ich als nächstes ein Rasenstück auf, um sensible Geschöpfe pflanzen zu können, die nicht eine halbe Pfote der beiden Großen überlebt hätten, und versuchte mich zu freuen. „Goldene Zeiten brechen an“, dachte ich tapfer,

dieweil der neue Velociraptorenmann dahergegockelt kam und den Mädels mit viel „Gulugulu“ zeigte, wie lecker Salat, Spinat, oder Radieschenlaub ist. In den Hochbeeten.
Nervös geworden bat ich Nichgärtner um eine Kriseninterventionssitzung: „Wir stehen einer ernsthaften Hochbeet-Bedrohung gegenüber. Wenn sie erst mal rausgefunden haben, in welchem die Erdbeeren wachsen, meiner Treu! Hast du irgendeine Idee, wie man den gesamten Bereich hübsch einzäunen könnte?

Nichtgärtner wollte erstmal keine haben:
„Nicht schon wieder! Dass du dir das Leben auch immer so schwer machen musst! Man kann es nicht genießen, einen hundefreien Garten zu haben, nein, man muss sich vor-sofort die nächsten Schädlinge zulegen. Zum Leiden geboren, diese Frau!“
„Aber sie legen immerhin Eier“, erwiderte ich nebst dem Nicken kleinlaut.
Gemeinsam zäunten wir unästhetisch, aber wirkungsvoll ein und konnten dieses Jahr tatsächlich eigene Erdbeeren essen. Und Eier.
Da kann einem die Ästhetik gerne über den vollen Bauch rutschen.

Vor einer Woche hörte ich ein „Gulugulu“ im Halbschattenbeet und linste vorsichtig um die Ecke auf die bepflanzte Ex-Hundeschneise. Entrückt vor Vergnügen scharrte der Gockel basisnah an Cyclamen und Heucheras, während die Mädels im Halbkreis um ihn rum standen und hochinteressiert der Vorführung folgten.

„Wenigstens legen sie Eier“, sagte ich mir, kehrte der meuchelnden Idylle den Rücken und begab mich auf die Suche nach Trottelstäben. „Und sie düngen den Boden. Und fressen vielfältiges Ungetier. Und schöne Namen tragen sie auch.“

6 Kommentare

  1. Cooler Text, es bereitete mir viel Freude ihn zu lesen, viele schöne Erinnerungen kamen hoch.
    Bitte beschütz den Feigenbaum;-)

  2. Begriffe Dini Sorge nüd.
    Du häsch ja Hühner (mit Hahn). Tue doch die uf Dini Schädling abrichte und denn bisch die ungewollte Gäst im Nu los.
    OK, de Garte wird denn halt e chli kahl nach de Fressorgie denn sie werded ja wahrschienlich nüd nur d Schädling esse sondern au nu chli Pflanze knäbberle.
    Fürd Fiege häsch ja de Hoppel. Somit müend d Hühner nur no de Rest erledige.

    1. Natternkopf:
      Der hat was, dieser Rosentriebbohrer, nicht wahr? Nichtsdestotrotz: Ich bin froh, dass er es bei einem einmaligen Besuch belassen hatte.

      generativer Internodialsteckling:
      Was für ein toller Name! *zwinker* Der Feigenbaum steht übrigens noch, kein Grund zur Sorge!

      Hans:
      A de Pflanze chnäberle tüend’s eh scho, do mueni gar nöd erscht abrichte, ganz abgseh dodevo, dass i ihne zig Mol ha wele zeige, wie fein doch die huere Minzechäfer sind. Nöd emol mitem Füdli lueged sie die a. Und de Hörpsli frisst au nur d’Frücht – de Figespreizflügelfalter loot er grosszügig in Rue. Soviel zu mine Sorge, gell. 😉

  3. Sorry Nick, ich lach mich kaputt. Hab Tränen in den Augen und komm aus dem Kichern nicht raus.

    Ist er nicht ein toller Kerl mein Patenkind? 😀

    1. Da entschuldigt die sich dafür, dass der Text sie zum Kringeln bringt und ist zugleich auch noch stolz auf den grossen Zerstörer.
      Welch verkehrte Welt. 😉

      (Pssst: Ja, ist er.)

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