Ja!

Trägt man sich mit dem Gedanken oder wird von ihm getragen, sich ein länger lebendes Haustier anzuschaffen, sagen wir mal einen Hund, dann wird einem früher oder später die folgende, durchaus berechtigte Frage über den Weg laufen:
Sind Sie sicher, dass Sie das wollen und sich leisten können? So ein Wauwau kann gerne mal älter als 15 werden. Multipliziert man die Tierarztbesuche mit den Futterkosten, den täglichen Zeitaufwand fürs Gassigehen mit etwaigen Nervenverlusten bei der Erziehung und den Verzicht auf unbekümmertes Reisen (sowie helle Teppiche) mit der Verantwortung, die man für so ein Tier übernimmt, könnte unter dem Strich ein dickes rotes Nicht-Smiley stehen. Wollen Sie das?

Egal, welches Käseblatt man aufschlägt, welchen auch mal parlierenden Radiosender man hört und in welchen TV-Sender man zappt, es wird ins selbe Horn geblasen. Aus gutem Grund. Würde stattdessen in der aktuellen Ausgabe von Ursula, dem Hinterächzdorfer Anzeiger oder dem Drogerieneckguck so was stehen:
Sie möchten sich einen Hund anschaffen? Eine gute Idee! Er wird Ihnen Freude bereiten und Ihr Leben bereichern! Mit den nachfolgenden zehn Tipps und Tricks für Anfänger sind Sie bestens gerüstet, um den ersten Schritt zu Ihrem eigenen Paradies zu tätigen!
würde man vermutlich aufmerken.

Und nun ersetze man
“sich einen Hund anschaffen” mit “einen Garten anlegen”.

Egal, wohin man guckt und hört, Garten ist immer „juhuu“ und „mach mal!“, dabei wird so ein Garten locker und deutlich älter als fünfzehn. In der Regel. Und das ist erst der Anfang.
Ein Garten kostet, und dies nicht zu knapp. Oh nein, ich werde nicht das Lehrgeld zusammenrechnen, das ich in all den Jahren aus dem Fenster geschmissen habe; schon allein der Gedanke daran lässt mich vor monetärer Scham zusammenzucken. Ein Trugschluss wäre die Annahme, dass mit steigendem Wissen die Geldausgaben sinken würden. Das tun sie nicht. Wenn etwas sinkt, dann ist es höchstens der Fensterschmeiße-Anteil; angesichts der rauschhaft getätigten Neuanschaffungen, von denen man noch vor einem halben Jahr nicht mal wusste, dass sie anzuschaffen sind, geschweige denn existieren, verschwindet dieser Vorteil mit einem lautlosen Blubb im Nirgendwo.
Nicht nur junge Hunde, auch ebensolche Obstbäume wollen erzogen werden. Überhaupt braucht ein Garten eine gestrenge jätend-schneidend-ordnende Hand, es sei denn, dessen Besitzer hänge der antiautoritären Garten-Laisser-Faire-Bewegung an. Tu ich nicht. Käme mir nicht mal im Traum in den Sinn. Würde mich ja jeder Freude berauben, verlorene Nerven hin oder her.
Und dann wäre da die Ferienproblematik. Wenn uns jemand frühlings oder sommers für ein Wochenende eingeladen hatte und wir mit Verweis auf die drei Hunde ohne Sitter absagten, verstand man auf Anhieb und nickte telefonisch mitwissend. So was wie: „Äh … nee. Geht nicht. Garten, weißt du. Ich habe da ganz viele vorgezogene Sämlinge stehen, muss Etliches gießen, es ist gerade Haupterntezeit, muss Stecklinge am Laufband stecken, nächstens blüht das XY zum ersten Mal, kann ich nicht verpassen, ich erwarte eine Pflanzenbestellung, unmöglich … “, zeitigte in der Regel betretenes Schweigen mit einem Anflug von Beleidigtsein.

Da ist die Anschaffung eines Hundes doch Pipifax. Und wenn der methusalemisch unglaubliche 25 Jahre alt würde. Mit einem verächtlichen Schnauben blätterte ich um, als ich im Wartezimmer mit einem der unausweichlichen Es ist Frühling! … Garten! …. Hach!-Artikel bestraft wurde, stöhnte leise vor mich hin, legte die linke Hand auf die pochend schmerzende Schulter und erinnerte mich.

Es war Sommer.
Ich sah aus dem Fenster auf Hausdächer, Baumkronen und eine malerische Gebirgskette dahinter, wenn ich den Infusionsständer und das belegte Bett vor mir ignorierguckte. Aber auch das half nicht wirklich. An Hausdächern bin ich bis heute nur marginal interessiert, Bäume waren damals für mich einfach nur Bäume; ich befand es nicht für nötig, mich wegen eines speziellen Spitzahorns ins Koma zu freuen. Und Gebirgsketten … nun ja. So malerisch sie auch sein mögen, als Gebirgsflüchtlingin bevorzuge ich ebene Ebenen und kriege ein unangenehmes Kribbeln im rechten großen Zeh, sobald ich eines grauen großen Dinges gewahr werde, das mein Blickfeld beeinträchtigt. Wie erwartet kribbelte er, der Zeh. Ich seufzte, starrte an die Decke mit den Löchern in den quadratischen Platten und versetzte mich gedanklich in meinen Garten.

Es war übel. Richtig übel. Nicht mal wegen der Frühsommer-Meningoenzephalitis, die mich zu einem stotternden, dahinvegetierenden Schatten meiner selbst gemacht hatte – verflucht seien all die Zecken auf dieser Welt bis in ihr hundertstes Glied.
„Frau Nick? Wie geht es uns denn heute?“
„Mpf. Will nach … nach … will Hause. Will. Garten. Mein. Garten.“
„Schauen Sie, Frau Nick, Sie können ja nicht mal richtig sprechen, geschweige denn fünf Minuten lang aufrecht sitzen. Wir dürfen Sie nicht nach Hause lassen.“
„Mo?“
„Nein, Frau Nick. Wir dürfen Ihnen auch kein Morphin mehr verabreichen. Die Gefahr, dass Sie süchtig werden, ist zu groß.“
Dabei war ich’s doch schon längst, wenn auch nicht nach dem weichbettenden Schmerzmittel. Aber woher konnte das die Ärztin wissen.

Wissen taten es nur meine Liebsten, die mir ein kunstvolles Gesteck mitbrachten, „Schau, alles aus deinem Garten!“, das wochenlang halten sollte, und jedes Besuchermal Fotos zeigten. Von dicken Broccoliköpfen, anmutigen Hemerocallis-Blüten, von den drei Hunden, die sich auf dem Rasen wälzten, während meine Mutter Wäsche aufhing, von Grün und Bunt und überhaupt. Es zerrte und zehrte in mir wie an einer behangenen Wäscheleine im Sturm. Die Fotos – dessen war ich sicher – waren aus geschönten Blickwinkeln heraus geknipst. Es war nun mehr als einen Monat her, seit ich zum letzten Mal darin tätig war … das Unkraut! Die Schnecken! Die Sonne! Mein Garten!

Nein, mein Garten, wie sich später herausstellen sollte, kümmerte mein Wegbleiben nicht die Bohne. Nicht mal ein Böhnchen. Er sah herrlich aus, Unkraut war nur wenig zu erkennen, das Erwünschte wucherte fröhlich vor sich hin, das Gemüse gedieh, als hätte man es unter Laborbedingungen aufgezogen. Und dies trotz schmatzender Schnecken und sengender Sonne. Und trotz ohne mich.
Tja, mein Garten konnte problemlos ohne. Meine Hunde offensichtlich auch. Als ich, gestützt von zwei Lieben, in den häuslichen Flur wankte, wurde ich sachte wedelnd begrüßt, und dann stob es nach draußen, um dem Nachbarkläffer Paroli zu bieten. Untreues Gesocks, allesamt.

Das einzig abhängige Wesen in dieser Geschichte war und bin ich. Was mir damals durchaus zum Vorteil geriet. Als ich – inzwischen konnte ich tatsächlich zehn Minuten lang stehen, ohne mich gleich übergeben zu müssen – die Ärztin darum bat, mich zu entlassen, sagte sie kühl, weil wissend: „Wenn Sie so darauf drängen … wir haben da einen Test. Wenn Sie den bestehen, können Sie nach Hause.“ Der Test war ein körperlicher. So musste ich mich mit überkreuzten Armen an ihr festhalten, während sie mich hochzog, und andere Leibesertüchtigungen absolvieren. Ich dachte an meinen Garten, biss die Zähne zusammen und wuchs über meine damaligen kläglichen Kräfte hinaus. Die Ärztin biss ihre wissenden Zähne zusammen und unterschrieb die Entlassungspapiere: „Aber nur auf Ihre Verantwortung!“ Sucht hat ihre Vorteile.

Und so durfte ich endlich zu Hause genesen. Im Garten. Auf dem unsagbar hässlichen, aber bequemen Liegestuhl. Im Laufe der Wochen verflüchtigte sich das Stottern, entwickelte sich wieder das Gehvermögen und verfestigte sich die Erkenntnis: Der Garten kann ohne dich. Aber du nicht mehr ohne ihn. Es sei.

Ich legte die linke Hand auf die pochend schmerzende Schulter und blätterte den Dödelartikel um, als mich die nette MRT-Frau ansprach.
Der Befund war ernüchternd. Kurz bevor ich angedacht hatte, den Spinat und anderes auszusäen, meinte die rechte Supraspinatus-Sehne, sie müsse sich entzünden. So sehr, dass ich leise an Mo dachte, weil kein gängiges Schmerzmittel helfen wollte. Gerade jetzt!
Gerade jetzt, verflixt und nochmals! Mitten in der Hochsä-Gemüsesaison, in der Beet-Urbarmachezeit, im Jetzt-haben-wir-das-Unkraut-zum-ersten-Mal-fast-im-Griff-Moment. Es graute mir vor weiteren Gedanken: „Und nun wirst du über Wochen hinweg schulterlahm vor dich hinhinken, zusehen, wie deine Kartoffeln vorgekeimt vertrocknen und wie Ackerwinden sich über deinen Garten und schließlich dich selber hermachen. Wenn es böse kommt, wirst du bis zum nächsten Winter in Schockstarre verweilen. Oh Pein!“

Der Garten kicherte belustigt-sprießend vor sich hin, der letzte verbleibende Hund genoss es, mit mir das Sofa zu teilen, und im Brutapparat piepste es immer lauter vor sich hin. Dreizehn schlüpfende Velociraptoren feuerte ich an und hieß sie willkommen auf diesem unseren Erdenrund. In Ermangelung einer Glucke sprang ich beherzt ein, bot ihnen im Wohnzimmer einen kleinen Küken-Erlebnispark und tat konrad-lorenzsch. Wohl wissend, dass sie einem höheren, weil züchterischen Zweck dienen würden und mir nächstens entrissen würden.
Und so verhalf mir die böse Schulter zu vielen lieben Momenten, die mir ansonsten entgangen wären. Immer mal wieder darf eines der Aasgeierchen an meinen dahinschmelzenden Hals geschmiegt selig schlummern und sich streicheln lassen. Immer wieder beobachte ich, studiere, betrachte, sehe Federn aus dem Kükenflaum da und dort sprießen, mache Charaktere aus, verliebe mich zum fünften Male in dieses und jenes, bin einfach nur verzaubert ob des Wunders dieser Natur.

Die Kartoffeln sind in der Erde, Nichtgärtner sei Dank. Meine Velociraptörchen werden nächstens abgeholt. Nach einer Stunde werden sie sich nicht mehr an mich erinnern. Graugänse täten es vermutlich. Wie auch immer. Sie werden ohne mich auskommen. Genauso gut wie mein Garten.

Sind Sie sicher, dass Sie einen Garten anlegen wollen und sich leisten können? So ein Garten kann locker mehrere Jahrhunderte alt werden. Multipliziert man die Staudengärtnerbesuche mit den Düngerkosten, den täglichen Jät-Schneid-Durchgang mit etwaigen Nervenverlusten bei Nichterfolgen und den Verzicht auf unbekümmertes Reisen (sowie helle Teppiche) mit der Verantwortung, die man sich einbildet, könnte unter dem Strich ein dickes rotes Nicht-Smiley stehen. Wollen Sie das?

Ja.

Fussnotiz:
Die Aasgeierchen sind inzwischen weg. Wie unerträglich piepsstill doch so ein Wohnzimmer sein kann …

11 Kommentare

  1. Danke liebe Nick!
    Soso – du warst also Amme von Aasgeierchen 🙂
    Und ich hoffe, du kommst schnellstmöglich wieder auf die Beine. “Auf die Arme” klingt bei ZweiBeinern vielleicht doch nicht sooo passend 😉 Die Geierchen waren sicher die hilfreichste AblenkungsMedizin!?!

    Und JA – frau muss erstmal verknusen, wenn/dass der Garten auch mal ohne PermaPflege auskommen kann. Diese Erkenntnis hat mich während/ nach unserer Zeit in China irritiert. Aber dann traf mich eine Erkenntnis, die gut tat und mich wieder aufgerichtet hat: Man hat den Garten gut und richtig angelegt. Ihm quasi das Rüstzeug für ein langes Leben gegeben 😉 Verzogene Sensibelchen und empfindlicher SchnickSchack hätten das nicht mit gemacht. Sprich, für unsere Lebenswege haben wir das Richtige getan :)))

  2. Meine AAsgeierchen piepen noch im Kükenstall und die nächsten sind unterwegs. und dieses Jahr werde ichsie alle behalten.(Freu)
    Wie oft hatte ich schon ähnliche Sorgen, auch dieser G-Ton ist mir wieder aus dem Herzen gesprochen
    DANKE

  3. Ein eganz wundervolle, zauberhafte und ach – so aus dem wirklichen Leben gegriffene Geschichte!
    Ich habe geschmunzelt und geseufzt – ja genau.
    Viele liebe Grüße von Renate

  4. Mit Gärten ist es wie mit Hunden. Man kann sie zu selbstständigen Gefährten erziehen, oder auch zu abhängigen Hätschelkindern, die man nicht aus den Augen lassen möchte. ln Krisenzeiten braucht man einander. Ich wünsche geduldige Besserung für die Schulter.

  5. Genau so. Ein überzeugtes Ja – sowohl zu Garten als auch Hund, allen Quersummen zum Trotz. Die höchste Summe ergibt sowieso die Freude. . . . . .
    Berührend. Ganz wunderbar hast Du diese Geschichte geschrieben.

    Da frage ich mich, wie das wohl dereinst sein wird, wenn ich den Garten nicht mehr “stemmen” könnte, er könnte ja nicht ganz ohne mich. Könnte ich auch ohne ihn?

    Ich wünsche Dir gute Besserung und viel Geduld.
    Viele liebe Grüsse
    Saattermin

  6. Nick, Du hast mir aus dem Herzen gesprochen.
    Es gibt keinen schöneren Platz auf der Welt als den eigenen Garten.
    Ja.
    .

    Ganz liebe Grüße
    Marlis (Erhama)

    1. Euch allen ein Danke für die Genesungswünsche (die Schulter hat zwar keine Ohren, aber mitfühlende Worte tun der Seele wohl).

      Wühlmaus und Eva:
      Eure Gedanken sind mir während des Schreibens nicht mal ansatzweise in den Sinn gekommen.
      Wie Recht ihr habt. Man kann ein geliebtes Wasauchimmer von sich abhängig machen oder aber man ist darauf bedacht, dass es selbstständig in dieser Welt zurechtkommt. Im letzteren Falle soll man sich nicht über das “untreue Gesocks” beklagen, sondern sich darüber freuen, dass es alleine vor sich hinwurschteln kann.

      Stephanie:
      Neid.
      Aber gleichzeitig auch grosse Mitfreude!

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